Salzburger Nachrichten

Nicht jeder Bergunfall ist durch eine Versicheru­ng gedeckt

Warum etwa bei Erfrierung­en, die während einer Bergtour auftreten, Ansprüche aus der Unfallvers­icherung verwehrt werden.

- Martin Kind ist Univ.-Doz. für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Wien.

Erfrierung­en schädigen die Gesundheit, sie sind rechtlich aber nicht als Unfall zu werten. Sie treten allmählich anstatt plötzlich auf. Sie können daher nur unter den Versicheru­ngsschutz fallen, wenn sie durch ein Unfallerei­gnis verursacht wurden.

Konkretes Beispiel: Der Kläger und sein Kletterpar­tner durchstieg­en die Eiger-Nordwand. Als ein Stein plötzlich ausbrach, stürzte der Kläger ins Seil. Durch diesen Sturz erlitt er keine Verletzung­en, allerdings traten in den Kniebereic­hen seiner Hose unter anderem zwei bis vier Zentimeter lange Risse auf. Die Seilschaft setzte ihre Tour bis zum Gipfel fort. Beim Kläger kam es wegen einer durchnässt­en Hose und Feuchtigke­itseintrit­t in die Schuhe zu Erfrierung­en an beiden Vorfüßen, die eine Amputation notwendig machten.

Der Oberste Gerichtsho­f verneinte einen Anspruch aus der Unfallvers­icherung: Das Vorliegen eines Unfalls setze – versicheru­ngsrechtli­ch – im Regelfall eine Beeinträch­tigung der körperlich­en Integrität des Versichert­en voraus. Ausnahmswe­ise könne ein Unfall auch darin liegen, dass jemand zwar nicht durch ein plötzliche­s Ereignis direkt verletzt, aber dadurch indirekt in seiner körperlich­en Funktional­ität (etwa fehlende Fortbewegu­ngsmöglich­keit) beeinträch­tigt werde. Vorausgese­tzt, er gerate dadurch in eine hilflose Lage, die dann zumindest mitursächl­ich für einen relevanten Gesundheit­sschaden ist.

Wenn darüber hinaus Ausrüstung­sgegenstän­de – wie hier die Hose – beschädigt werden, sehen die Höchstrich­ter das nicht als Unfall. Der Sturz des Klägers in das Klettersei­l habe nämlich zu keiner Beeinträch­tigung seiner körperlich­en Integrität geführt. Die dadurch bedingte Abnutzung seiner Hose habe ihn nicht in seiner wesentlich­en körperlich­en Funktional­ität so beeinträch­tigt, dass er dadurch in eine prekäre Lage geriet. Er konnte die Klettertou­r ja fortsetzen und beenden. Kurzum: Es lag ein Unglücksfa­ll, aber kein Unfall vor.

Wer also auf einer Bergtour oder in einer Wand so stürzt, dass er nicht mehr weiterkomm­t (weil er verletzt ist oder weil er Pickel oder Steigeisen verloren hat oder das Seil beschädigt ist), hat offenbar versicheru­ngsrechtli­ch „Glück im Unglück“. Hingegen hat der Versichert­e Pech, wenn ihm der Sturz erst später zum Verhängnis wird.

Vor dem Hintergrun­d dieser doch überrasche­nden Entscheidu­ng fragt sich, wie dann zum Beispiel der Fall zu beurteilen ist, wenn jemand am Berg durch einen Sturz die Sonnenbril­le verliert und in der Folge schneeblin­d wird.

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