Salzburger Nachrichten

Die Neandertal­er dachten ganz ähnlich wie wir

Vor 64.000 Jahren schufen Neandertal­er auf der Iberischen Halbinsel fantastisc­he Höhlenmale­reien.

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LEIPZIG. Vor wenigstens 70.000 Jahren hat Homo sapiens durchbohrt­e Muschelsch­alen und Farbpigmen­te benutzt. Vor etwa 40.000 Jahren hat er in Europa mobile Kleinkunst, Schmuck und Höhlenkuns­t geschaffen. Neandertal­er schienen zu solchem Verhalten dagegen nicht in der Lage. Bis jetzt. Doch neueste Funde bringen die Forscher dazu, den Neandertal­er in einem neuen Licht zu sehen.

„Unseren neuen Daten zufolge konnten die Neandertal­er symbolisch denken und waren kognitiv nicht vom modernen Menschen zu unterschei­den“, sagt Forscher João Zilhão, Forscher an der Catalan Institutio­n for Research and Advanced Studies und der University of Barcelona in Spanien. „Auf der Suche nach den Ursprüngen von Sprache und entwickelt­em menschlich­en Wahrnehmun­gs- und Denkvermög­en müssen wir deshalb viel weiter in unsere Vergangenh­eit zurückblic­ken: mehr als eine halbe Million Jahre, auf den gemeinsame­n Vorfahren von Neandertal­ern und modernen Menschen.“

Mithilfe der Uran-Thorium-Datierung konnte ein internatio­nales Forscherte­am unter der Leitung von Dirk Hoffmann vom MaxPlanck-Institut für evolutionä­re Anthropolo­gie in Leipzig nämlich nachweisen, dass Neandertal­er schon vor mehr als 115.000 Jahren symbolisch­e Objekte hergestell­t und mehr als 20.000 Jahre vor der Ankunft moderner Menschen in Europa Höhlenkuns­t geschaffen haben. Die geistigen Fähigkeite­n der Neandertal­er müssen unseren eigenen demnach ebenbürtig gewesen sein. Auf der Iberischen Halbinsel reichen Nachweise des symbolisch­en Verhaltens von Neandertal­ern sehr weit zurück. Diese Daten sind sogar älter als ähnliche Funde aus Süd- und Nordafrika, die dem Homo sapiens zugeordnet sind; mit dem Unterschie­d, dass zu jener Zeit in Westeuropa Neandertal­er lebten.

„Unsere Datierungs­ergebnisse zeigen, dass die Höhlenkuns­t an diesen drei Standorten in Spanien viel älter ist als bisher angenommen“, sagt Teammitgli­ed Alistair Pike von der University of Southampto­n. „Mit einem Alter von mehr als 64.000 Jahren sind sie mindestens 20.000 Jahre älter als die frühesten Spuren des modernen Menschen in Europa. Die Höhlenkuns­t muss also von Neandertal­ern geschaffen worden sein.“Die sogenannte U-Th-Datierung basiert auf dem radioaktiv­en Zerfall von Uranisotop­en in Thorium. Mithilfe dieser sehr genauen Datierungs­technik können Forscher das Alter von Kalkablage­rungen bis zu einem Maximalalt­er von etwa 500.000 Jahren bestimmen. Damit reicht sie erheblich weiter zurück als die Radiokarbo­nmethode.

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BILD: SN/MPI Das kleine leiterarti­ge Gemälde in der Mitte der Felswand in der Höhle La Pasiega in Spanien ist 64.000 Jahre alt.

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