Hollywoods Frauen setzten Zeichen
Ein Monstermärchen ist Sieger eines Abends, der ohne große Überraschungen verlief: Was die Oscarnacht über Hollywood erzählt.
Ihre Trophäe stellte Frances McDormand gleich auf dem Boden ab, dafür bat sie ihre Kolleginnen (im Bild: Meryl Streep), sich zu erheben: Mit ihrer Dankesrede setzte die Oscarpreisträgerin ein Zeichen in einer Nacht, in der große Botschaften weitgehend ausblieben. Für ihre Rolle im Film „Three Billboards“wurde McDormand zur besten Hauptdarstellerin gekürt. Von Hollywood forderte sie mehr Gleichberechtigung. Der große Sieger der Gala ist ein Märchen: Der 13 Mal nominierte Film „Das Flüstern des Wassers“von Guillermo del Toro erhielt vier Oscars.
Gewonnen hat ein Märchen für Erwachsene. Für 13 Oscars war „The Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“nominiert, in vier Kategorien wurde es ausgezeichnet: für den besten Film, für Regie, Musik und Szenenbild.
Der Film des mexikanischen Regisseurs Guillermo del Toro erzählt von einer stummen Putzfrau, die bei ihrer Arbeit in einer militärischen Forschungseinrichtung einem goldäugigen Wasserungeheuer begegnet. „2017 war das Jahr, in dem sich Männer so mies verhalten haben, dass Frauen anfingen, sich mit Fischen zu treffen“, blödelte Moderator Jimmy Kimmel dazu. Der visuell überwältigende Film ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Frau mit einer Behinderung und einem fremdartigen Wesen, eine Erzählung von Repression, die auch als Rassismusmetapher gelesen werden kann.
Mehr Diversität! Das fordern Branchenmitglieder und Publikum schon lange von der Filmindustrie, und dafür ist „Shape of Water“eine wohlfeile Parabel. Der strukturelle Wandel ist zumindest in Ansätzen spürbar: Guillermo del Toro ist der dritte mexikanische Regisseur innerhalb von fünf Jahren, nach Alfonso Cuarón (2014 für „Gravity“) und Alejandro González Iñárritu (2015 für „Birdman“und 2016 für „Revenant“), der in der Kategorie Beste Regie gewonnen hat.
Die USA und Mexiko als Geschwisterländer, mit eng verbundener Geschichte, die ohne einander wirtschaftlich und gesellschaftlich unvorstellbar sind: Hier wird auf großer Bühne gefeiert, wie sehr das auch das Kulturschaffen betrifft, in der Schmelztiegelstadt, die den spanischen Namen Los Angeles trägt.
Dass diese Realität der Politik entgegensteht, die in Washington gemacht wird, war den ganzen Abend über in Nebenbemerkungen spürbar, doch der Zorn über Trump und das Entsetzen sind weit nicht mehr so roh und laut wie noch vor einem Jahr. Gewöhnung hat eingesetzt, trotz allem.
Das mexikanische Motiv prägte die ganze Oscarverleihung, denn da war auch der Animationsfilm „Coco“über einen kleinen mexikanischen Buben, der unbedingt Musik machen will, dabei irrtümlich ins Reich der Toten gerät und dort Familienanschluss findet. In schöner Pixar-Tradition kommt hier nicht nur die spanische, koloniale Geschichte Mexikos vor, sondern die vielfältigen kulturellen Identitäten des Landes werden wenigstens angedeutet. Der Film wurde als bester Animationsfilm ausgezeichnet, ebenso wie der Ohrwurm „Remember Me“als bester Song, ein zu gleichen Teilen spanisch- und englischsprachiges Lied.
In den seit dem Herbst omnipräsenten #MeToo- und #TimesUpDiskurs passte dafür die Dankesrede von Frances McDormand, die für ihre Rolle in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“zur besten Schauspielerin gekürt wurde. Es ist ihr zweiter Oscar nach „Fargo“(1996), und der zweite Oscar an „Three Billboards“, Sam Rockwell wurde für seine Darstellung der Läuterung eines rassistischen Polizisten ausgezeichnet.
McDormand bat alle nominierten Frauen im Saal auf, mit ihr aufzustehen – und rief dann ins Publikum: „Hört ihre Geschichten an! Wenn sie euch einen Film vorschlagen, macht den!“
Und sie forderte, ihre privilegierte Position der anerkannten weißen Filmschaffenden nutzend, dass ihre Kolleginnen und Kollegen auf mehr Verteilungsgerechtigkeit bei Filmprojekten bestehen müssten, unter dem Schlagwort „Inclusion Rider“. Auch innerhalb der Branche war dieser Begriff noch viel zu wenigen bekannt: Ein „Rider“ist jene Liste an Bedingungen, die Stars in ihre Verträge hineinschreiben lassen, von Ernährung bis zur Unterbringung. Und ein „Inclusion Rider“bedeutet, dass der Star darauf besteht, dass Besetzung und Crew eines Films jener Diversität entsprechen, die der Gesamtbevölkerung entspricht.
Dass ausgerechnet der Film, mit dem McDormand gewonnen hat, Diversität lediglich pointiert als Kulisse benutzt, um den weißen Protagonisten zu einer Charakterentwicklung zu verhelfen, ist eine boshafte Fußnote.
Immerhin wurde Jordan Peele für sein Drehbuch zu „Get Out“ausgezeichnet, jenem Horrorfilm, in dem genau diese weiße Selbstgefälligkeit zur tödlichen Gefahr für den schwarzen Protagonisten wird. Das weiße, alte Hollywood bekam trotzdem mehr als genug Preise, allen voran der üblicherweise fantastische Schauspieler Gary Oldman in seiner Rolle als Winston Churchill in Joe Wrights „Die dunkelste Stunde“.
Der charakteristisch hagere Oldman war eine merkwürdige Wahl für den umfangreichen Churchill, und den (ebenfalls ausgezeichneten) Maskenbildnern ist es vor allem zu verdanken, dass Oldman dem Vorbild nahe kommt.
Christopher Nolans verschachteltes Kriegsepos „Dunkirk“wurde in drei technischen Kategorien ausgezeichnet, und mit Roger Deakins bekam einer der besten Kameraleute Hollywoods nach viel zu langer Zeit endlich seinen ersten Oscar, für das Imponierspektakel „Blade Runner 2049“.
Große Verliererin des Abends ist Greta Gerwig, deren Regiedebüt „Lady Bird“fünffach nominiert war, darunter in den Kategorien Regie, Drehbuch und Bester Film. So ganz bereit ist Hollywood doch noch nicht für die neuen Geschichten.