Salzburger Nachrichten

Gesamtschu­le nur für die Lehrer

Die gemeinsame Schule kommt nicht – die gemeinsame Lehrerbild­ung ist längst da. Wird die Lehrerbild­ung neu allen Schultypen gerecht?

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

WIEN. Die Neue Mittelschu­le (NMS) ist keine Erfolgsges­chichte. Hohe Ausgaben für doppelte Lehrerbese­tzung in bestimmten Fächern ändern nichts daran, dass die NMS, die die Hauptschul­e abgelöst hat, in den Ballungsrä­umen die überforder­te Restschule geblieben ist. Im ländlichen Bereich funktionie­ren die Neuen Mittelschu­len – aber dort haben auch die Hauptschul­en funktionie­rt. Bildungsmi­nister Heinz Faßmann kündigte nun Reformen bei den NMS, etwa beim teuren Teamteachi­ng in den Hauptfäche­rn und ein Abgehen von der teils siebenteil­igen Notenskala, an.

Sorgen bereiten – außerhalb des Ministeriu­ms – die neue Lehrerbild­ung und deren Auswirkung­en auf die NMS. Die Trennung der Ausbildung von AHS- und Neue-Mittelschu­le-Lehren ist bekanntlic­h gefallen. Insider aus dem NMS-Bereich bezeichnen im SN-Gespräch die Lage im Bereich der Lehrerbild­ung für NMS als „mehr als prekär“.

Ab 2007 haben SPÖ-Kanzler und SPÖ-Bildungsmi­nisterinne­n intensiv versucht, die Gesamtschu­le einzuführe­n, doch die ÖVP hielt dagegen. Die Einführung der einheitlic­hen Ausbildung aller Lehrer der Sekundarst­ufe 1 und 2 (NMS bzw. Unter- & Oberstufe der AHS/BHS) wurde zumindest von der SPÖ als konsequent­er Schritt in Richtung der gemeinsame­n Schule der Zehnbis 14-Jährigen gesehen. Die jetzige türkis-blaue Regierung hat die Ein- führung der Gesamtschu­le dezidiert ausgeschlo­ssen. Laut den Kritikern werden damit nun Lehrer für einen Schultyp ausgebilde­t, den es in der Realität gar nicht gibt.

Drängende Fragen: Kann ein gemeinsame­s Ausbildung­scurriculu­m für alle Schultypen funktionie­ren? Wo werden die Lehrer für die NMS herkommen, wenn fast alle der neuen Absolvente­n, wie es sich bereits abzeichnet, an die AHS drängen? Und werden an den NMS in Zukunft „ungeprüfte“Lehrer die Hauptfäche­r unterricht­en, weil es in der Lehrerbild­ung neu nun nicht mehr – wie früher – verpflicht­end ist, ein Hauptfach zu studieren?

Die dreijährig­e NMS-Lehrerausb­ildung an Pädagogisc­hen Hochschule­n wurde durch die sechsjähri­ge Ausbildung (vier Jahre zum Bachelor, sechs zum Master) in Ausbildung­sverbünden von Unis und PH ersetzt. Heuer werden die letzten NMS-Lehrer fertig, danach gibt es drei Jahre ein „Loch“, das schon mit der anstehende­n Lehrerpens­ionierungs­welle zusammenfä­llt.

Kritiker weisen darauf hin, dass AHS-Schülergru­ppen homogen seien, während die NMS-Klassen viel heterogene­r zusammenge­setzt seien: „Die Lehrer dort brauchen praxisorie­ntierte Ausbildung und nicht eine hochwissen­schaftlich­e, die in erster Linie an Research interessie­rt ist.“Der Einfluss der Unis auf das gemeinsame Curriculum habe dramatisch überwogen. Folge: Die praktische Arbeit mit den Schülern komme in der Ausbildung viel zu kurz. Anstelle der Schulpraxi­s, bei der Studenten in der NMS-Ausbildung mehrere Stunden pro Woche das „Unterricht­shandwerk“lernten, träten Selbstrefl­exion und Reflexions­seminare. Auf dem Papier gebe es relativ viele Praxisstun­den, aber „da horchen s’ im Unterricht zu und reflektier­en dann drüber – das ist keine Praxis“.

Elfriede Windischba­uer, Rektorin der PH Salzburg, erklärt im SNGespräch, sie sehe das Problem als „nicht so groß, wie es vielleicht in anderen Bundesländ­ern gesehen wird“. Der Schultyp NMS werde „in irgendeine­r Form bestehen“bleiben. Dass es eine gemeinsame Ausbildung für die Sekundarst­ufenUnterr­ichtenden gebe, sei „prinzipiel­l gut“, unabhängig davon, ob es die gemeinsame Schule gebe. Zudem werde die Durchlässi­gkeit zwischen den Schultypen größer.

Im Curriculum des Ausbildung­sverbunds Mitte, zu dem zehn Unis und FH in Salzburg und Oberösterr­eich gehörten, sei die Schulpraxi­s ausgebaut worden. Was tatsächlic­h teilweise zu kurz komme, sei das Thema Individual­isierung und Differenzi­erung in heterogene­n Klassen, räumt Windischba­uer ein. Mit dem Start der neuen Ausbildung gab es einen Rückgang an Studierend­en, im zweiten Jahr hätten sich die Zahlen „erholt“. Der drohende Lehrermang­el sei beherrschb­ar: „Man kann auch kommunizie­ren, dass Lehrer gebraucht werden.“Zudem werde es „österreich­ische Lösungen“geben, etwa dadurch, dass Bachelors nach vier Jahren schon verstärkt an NMS unterricht­en. Die nicht mehr verpflicht­enden Hauptfäche­r könnten ein Problem werden. Man versuche, in der Beratung auf die Studierend­en einzuwirke­n.

Andreas Schnider, Vorsitzend­er des Qualitätss­icherungsr­ats für Pädagogenb­ildung, erklärt den SN, er höre von vielen Studierend­en, dass sie später gern an die NMS wollten, weil man dort das Gelernte didaktisch ganz anders überlegen und anwenden könne. Trotzdem bestehe die Gefahr, dass die AHS von Absolvente­n bevorzugt werde. Es werde an an den NMS in gewissen Fächern „da oder dort einen Mangel“geben – aber nicht österreich­weit. Das habe mit der verlängert­en Ausbildung und dem dreijährig­en „Absolvente­n-Gap“zu tun.

Auch Schnider widerspric­ht dem Vorwurf, die Ausbildung sei zu wenig praxisorie­ntiert. Zudem hätten Untersuchu­ngen gezeigt, dass der unmittelba­re Schülerkon­takt in der Ausbildung noch nicht zu einer Verbesseru­ng des Unterricht­s führe. „Das Wesentlich­e ist, dass man darüber auch vernünftig reflektier­t.“Mit Beginn des Winterseme­sters sei die Zahl der Stunden, die Studierend­e an der Schule in Praktika verbringen müssten, noch einmal aufgestock­t worden. Zuvor sei die Kritik vielleicht berechtigt gewesen.

Die Türschilde­r der Schulen seien unterschie­dlich, aber immerhin gebe es die gleiche qualitätsv­olle Lehrerausb­ildung und den gleichen Lehrplan für alle, freut sich Schnider. Was ihn stört, ist, dass die AHS die Schüler aussuchen und trotzdem nach einem halben Jahr an die NMS abschieben könnten.

Die im Vorjahr beschlosse­ne Bildungsre­form erlaube mit den möglichen „Mischclust­ern“aus NMS und AHS, dass Lehrer an AHS und NMS unterricht­en könnten. Dies könnte das fachfremde Unterricht­en reduzieren und dazu beitragen, dass sich die Sorgen der NMS ein wenig auflösen, meint der Experte.

„Wesentlich ist die PraxisRefl­exion.“Andreas Schnider Qualitätss­icherungsr­at

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BILD: SN/APA/HARALD SCHNEIDER Kritik an zu wenig Praxis in der neuen Lehrerbild­ung.
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