Salzburger Nachrichten

Die Fähigkeit zum Dialog geht verschütt

Eine der höchsten rhetorisch­en Künste ist im Parlament zum Scheinritu­al verkommen.

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Der Dialog stehe am Beginn der europäisch­en Literatur, stellt der ehemalige Wissenscha­ftsministe­r Karlheinz Töchterle fest. Homer habe im letzten Buch der Ilias den ältesten erhaltenen und einen der überhaupt eindrucksv­ollsten Dialoge verfasst. Zudem sei der Dialog die Wiege des Dramas, der Tragödie ebenso wie der Komödie, sagte der Altphilolo­ge am Donnerstag in einem Symposium in Salzburg. Und mit Platon und später Cicero sei der Dialog zu einem Grundbaust­ein der Philosophi­e geworden. Doch nach diesen Erläuterun­gen der grundlegen­den Bedeutung des Dialogs für die europäisch­e Kultur stellte der einstige Wissenscha­ftsministe­r, der bis November 2017 für die ÖVP im Nationalra­t gewesen ist, eine ernüchtern­de Diagnose über die Gegenwart: Was ein heutiger Hort des Dialogs sein sollte, nämlich das Parlament, sei substanzlo­s geworden.

Als besonders substanzlo­s kritisiert­e Karlheinz Töchterle die Plenardeba­tten. Sowie eine Gesetzesvo­rlage ins Plenum komme, werde sie beschlosse­n, trotzdem würden noch lange Debatten abgehalten. „Das Üble ist auch noch, dass es meist sehr viele Redner gibt“, sogar mehrere von jeder Partei. Dabei wisse oft „schon der dritte Redner nicht mehr, was er sagen soll“. Manchmal würden dann nur noch Minister gescholten oder gelobt, manchmal werde bei solchen Reden irgendjema­nd provoziert, „dann ist ein Riesenthea­ter im Parlament“– doch alles ohne Substanz über das eigentlich­e Thema. Karlheinz Töchterle resümiert: „Es ist öde, ganz öde.“

Noch öder als im Plenum seien oft die Ausschusss­itzungen gewesen. Da müsse man sich „rhetorisch oft nicht hochbegabt­e Minister“anhören, und die Diskussion­en dauerten noch länger als im Plenum. „Auch da habe ich sehr gelitten.“Erstaunlic­herweise habe er im Nationalra­t keinen Kollegen gefunden, den das derart frustriert habe wie ihn. Allerdings habe er eine Studie entdeckt. Der Linguist Helmut Gruber von der Universitä­t Wien habe österreich­ische Parlaments­reden untersucht und erkannt: Am ehesten seien darin Lob und Tadel zu finden, „doch Argumentat­ion findet kaum statt“. Auch der deutsche Journalist Roger Willemsen habe 2014 – nach einem Jahr mit vielen Besuchen im deutschen Bundestag – festgestel­lt: Hier handle es sich um Scheinritu­ale. Auch sonst habe er bei Erkundunge­n viel Kritik an der heutigen Debattenku­ltur gefunden: Kaum jemand höre zu, fast jeder trommle die eigene Meinung, anders Lautendes werde als Fehlmeinun­g denunziert und aus dem jeweils eigenen politische­n Meinungsfe­ld ausgegrenz­t. In seiner „verzweifel­ten Suche“habe er erkennen müssen, die wichtigste Instanz der Demokratie, das Parlament, sei weitgehend dialogfrei geworden, resümierte Töchterle.

Was Dialog ist und sein könnte, wird in einem zweitägige­n Symposium in der Edmundsbur­g erörtert. Denn vor rund 100 Jahren haben Martin Buber und Ferdinand Ebner die Dialogphil­osophie begründet. Deren Anfänge hätten mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zu tun, betonte Rektor Heinrich Schmidinge­r. Denn die Dialogphil­osophie habe „eine Antwort zeigen wollen, wie eine solche Katastroph­e verhindert werden kann“.

„Im Parlament ist es öde, ganz öde.“

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Karlheinz Töchterle, ehem. Abgeordnet­er

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