„Übrigens, ich bin HIV-positiv“
Jeden Tag erhält mindestens ein Mensch in Österreich die Diagnose HIV-positiv. Philipp Spiegel lebt mit dem Virus. Über die Diagnose, das Kennenlernen von Frauen und – Zwiebeln.
hatte. Er selbst hat niemanden angesteckt. „Ich bin nach der Diagnose noch einige Zeit in Indien geblieben, weil ich wusste, sobald ich in Österreich lande, wird mein Leben, wie ich es bisher kannte, vorbei sein.“
Die zwei Jahre nach seiner Rückkehr sollten zu einer „Umbruchzeit“werden. „Ich bin in ein tiefes Loch gefallen. Es blieben so viele Zweifel und eine enorme psychische Belastung, die nur durch meine Familie und Freunde zu ertragen war.“Eines wollte und will Philipp aber nicht sein: Ein Opfer. „Ich möchte aufklären. Darum habe ich mich auch für diesen Schritt entschieden“, sagt er und deutet auf die Bilder, die an den Wänden rund um den Tisch mit der Pillenbox hängen. Keine da Vincis, sondern Fotografien des Künstlers.
Seit 2017 setzt sich der Fotograf mit dem Thema HIV auseinander. Seine Fotoausstellung „going viral“beleuchtet seine Selbstwahrnehmung, medizinische Aspekte und das Thema Frauen. „Ich bin Single und stelle mir natürlich die Frage, was ich einer Frau, die ich in einer Bar kennenlerne und die ich mit nach Hause nehmen möchte, sagen soll. Das sexuelle Verlangen fällt durch das Virus ja nicht weg.“Pause: „Aber wann ist der richtige Moment, um zu sagen: Übrigens, ich bin HIV-positiv.“
Über all seine Erfahrungen mit dem Virus – das für ihn über die Jahre eine eigene Faszination entwickelt hat – veröffentlichte Philipp im Jahr 2017 für die renommierte deutsche Wochenzeitung „Zeit Online“eine mehrteilige Serie. Darin findet sich auch die Geschichte mit der Zwiebel. Sie geht so: „Ich habe mit Freunden gekocht und einer hat mich zum Zwiebelschneiden eingeteilt. Mein Gedanke war nur: Was mache ich, wenn ich mich schneide? Was, wenn mein giftiges Blut nach außen und mit anderen in Kontakt kommt?“
Heute weiß Philipp, dass dies nicht möglich gewesen wäre. Die HIV-Medikamente hatten zu diesem Zeitpunkt seine Viruslast schon unter die Nachweisgrenze gedrückt.
Zur Erklärung: Mit Viruslast bezeichnet man die Menge der HI-Viren im Blut. Eine HIV-Therapie verfolgt das Ziel, die Viruslast so weit zu reduzieren, dass HIV mit den gängigen Verfahren nicht mehr nachweisbar ist. Das Virus liegt dann unter der Nachweisgrenze. Zwei Begriffe, die für Spiegel nicht nur wegen der Krankheit enorm wichtig geworden sind. „In der Schwulenszene weiß jeder, was eine Viruslast und was eine Nachweisgrenze ist. Aber fragen Sie einmal einen Heterosexuellen. Wir sind alle so sehr aufgeklärt, aber wissen in Wahrheit nichts. In der Gesellschaft werden diese Themen totgeschwiegen. Wer kennt denn schon seinen Status?“
Dabei kommt es in Österreich nach wie vor täglich zu mindestens einer HIV-Neudiagnose. Laut Aidshilfe stieg die Zahl der Neudiagnosen im Jahr 2016 auf 447 (2015: 428). In Österreich haben sich bisher rund 12.000 bis 15.000 Menschen mit HIV infiziert. Etwa die Hälfte der Betroffenen lebt in Wien, zwei Drittel davon sind Männer.
Spiegels nächstes Projekt ist übrigens ein Buch. Um zu zeigen, dass es jeden treffen kann. Aber wohl auch, um zu verdeutlichen, dass das Leben weiter geht, wie sein Abschlusssatz zeigt: „Tu’ mir einen Gefallen: Schreib das nicht so traurig, wie sonst immer über HIV geschrieben wird.“