Der März ’38 hat eine Vorgeschichte
Adolf Hitler marschiert in die „schlampertste Diktatur der Welt“ein.
Der 11. März 1938 ist der letzte Tag, an dem Österreich ein freies Land gewesen ist. Ein freies Land? Unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß war die Republik in einen autoritären, christlichen Ständestaat umgebaut worden. Dieser habe sich als „alternatives Gesellschaftsmodell“verstanden, das sich vom Nationalsozialismus abheben sollte, schreibt der deutsche Kulturhistoriker Manfred Flügge in seinem neuen Buch. Darin stellt er den „Anschluss“als Wendepunkt für Europa dar: „Eine ganze Hochkultur war plötzlich von gestern. Mit dem Fall von Wien war der Weg frei in die Katastrophe Europas“, schreibt er im Schlusskapitel.
Der 71-jährige Autor führt die Demontage einer aufgeschlossenen Kultur in ein Killer-Regime vor. Und er schildert Schicksale von Prominenten wie Egon Friedell, Robert Musil oder Franz Werfel ebenso wie Politisches und Militärisches sowie das Geschehen auf der Straße. Dabei hat er von Berlin aus den Blick auf Österreich gerichtet und dafür unter anderem die dortige Bibliothek in der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“und die von der Österreichischen Nationalbibliothek vollständig digitalisierten Tageszeitungen konsultiert.
Flügge zeigt sich erstaunt, in welchem Tempo der nationalsozialistische Terror hat greifen können. Von einem Tag auf den anderen wurden Juden zu Gejagten. Als Menschen panikartig flüchten wollten, stoppte man die Züge und verbrachte die Passagiere ins Gefängnis.
Der „Anschluss“ans Dritte Reich hat eine Vorgeschichte, auf die Manfred Flügge ausgiebig zu sprechen kommt. Er zeichnet das Bild eines jüdischen und roten Wien, in dem der Kultur eine besondere Rolle zukommt.
Er vergleicht Adolf Hitler und Sigmund Freud: Der eine schafft einen Mythos, in dessen Mittelpunkt er selbst steht, der andere zerpflückt Mythenbildungen und beobachtet mit Sorge „die Wirkmächtigkeit von Mythen bei Personen wie bei Kollektiven“. Flügge erinnert an Hans Weigel, der Österreich von 1934 bis 1938 „die schlampertste Diktatur der Welt“nannte. Und er befasst sich ausführlich mit Kanzler Kurt Schuschnigg, der im März 1938 vor den Einverleibungsansprüchen durch das Dritte Reich kapitulierte. Davor war er trickreich vorgegangen. Er hatte für den 13. März eine Volksabstimmung im Bewusstsein angestrebt, dass der Großteil der Österreicher für die Unabhängigkeit stimmen würde. Die Nazis mussten diese verhindern, weil sie nur an Abstimmungen interessiert waren, deren Ausgang sie kontrollieren konnten. Buch: