Alle Hinweise deuten auf Russland
Deutschland, Frankreich und auch die USA stehen nach dem Anschlag auf einen Ex-Spion demonstrativ an der Seite Großbritanniens.
Die Absperrbänder in der südenglischen Kleinstadt Salisbury zeugen noch von dem Giftanschlag, der Anfang März auf den russischen Ex-Doppelspion Sergej Skripal und seine Tochter verübt wurde. Gestern, Donnerstag, besuchte die britische Premierministerin Theresa May den Ort des Geschehens und kam mit Bewohnern, Geschäftsleuten und Sanitätern zusammen.
Hinter den Kulissen arbeitete May inzwischen daran, eine internationale Allianz zu schmieden, die eine „robuste Antwort“gegenüber Russland geben soll, wie ihr Sprecher am Donnerstag sagte. In einem ersten Schritt veröffentlichten die Staats- und Regierungschef von Großbritannien, Deutschland, den USA und Frankreich eine unüblich scharfe gemeinsame Erklärung. Russland trage mit „hoher Wahrscheinlichkeit die Verantwortung“für den Giftanschlag, heißt es darin. „Wir teilen die Einschätzung des Vereinigten Königreichs, dass es keine plausible alternative Erklärung gibt“, schrieben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, USPräsident Donald Trump und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.
Die Ermittlungen der britischen Behörden ergaben, dass Skripal und seine Tochter mit dem in Russland entwickelten, extrem gefährlichen Nervengift Nowitschok vergiftet worden sind. May ließ am Mittwoch 23 russische Diplomaten ausweisen, kündigte verschärfte Zollkontrollen gegenüber Russen und ihren Privatflugzeugen sowie das Einfrieren verdächtiger russischer Konten und weitere, geheime Sanktionen an. Russlands Außenminister Sergej Lawrow konterte, man werde in Kürze ebenfalls britische Diplomaten nach Hause schicken. Kremlsprecher Dmitrij Peskow bezeichnete die britischen Vorwürfen als halt- und verantwortungslos, sie verstießen gegen das internationale Recht. Der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensja versicherte, in Russland sei niemals ein chemischer Kampfstoff mit der Bezeichnung Nowitschok entwickelt worden.
Allerdings erwähnten die russischen Chemiker Wil Mirsajanow und Lew Fedorow das nervenlähmende Gift schon 1992 in einem Artikel in der Zeitung „Moskwoskije Nowosti“. Der daraus gewonnene Kampfstoff sei 1991 in Massenproduktion gegangen und Anfang 1992 auf einem chemischen Versuchsfeld in Usbekistan getestet worden.
Der Moskauer Militärexperte Viktor Litowkin verwies im SN-Gespräch darauf, dass Russland die letzten Bestände seines einst 40.000 Tonnen umfassenden Chemiewaffenarsenals Ende September 2017 unter Aufsicht der internationalen Organisation für das Verbot chemischer Waffen vernichtet habe. Litowkin schließt aber nicht aus, dass sich in russischen Laboratorien noch kleine Mengen der Giftgruppe Nowitschok befinden. Und: „Die Formel des Kampfstoffs ist im Internet verfügbar.“
Der Fall Skripal ist nicht der erste mysteriöse Kriminalfall in Großbritannien, bei dem es eine Verbindung nach Russland gibt: Der Londoner Anwalt Stephen Curtis, der 2004 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam, arbeitete zuvor für den Putin-Gegner Michail Chodorkowski. Der russische ExGeheimdienstler und Putin-Gegner Alexander Litwinenko wurde 2006 mit radioaktivem Polonium vergiftet. Der russische Oligarch Boris Beresowski, der als Geldgeber Litwinenkos galt, wurde erdrosselt in seinem Haus in Ascot aufgefunden. Bis heute ist unklar, ob er Selbstmord beging oder ermordet wurde. Der kremlkritische Blogger Alexander Perepilitschni starb 2012 in Surrey nach dem Joggen an Pflanzengift.
Fast alle Opfer waren aktive Feinde des Putin’schen Regimes, im Fall Skripal aber ist das Motiv unklar. Der 66-Jährige flog 2004 als Doppelagent auf und kam 2010 im Zuge eines Gefangenenaustauschs nach Großbritannien. Er übte dort aber keine öffentliche Kritik an Putin, sondern hielt lediglich Vorträge vor künftigen britischen Offizieren und Geheimdienstlern.
Trotzdem gibt es in Putins Apparat Kräfte, die Skripal offen kritisierten. Vor ein paar Tagen bezeichnete Kiril Klejmjonow, Moderator des Staatssenders Perwy Kanal, Skripal als „professionellen Verräter“und warnte das Publikum, dieser Beruf sei einer der gefährlichsten und ungesündesten der Welt. Besonders schlecht ergehe es Berufsverrätern in England: „Leute hängen sich auf, vergiften sich, stürzen mit dem Hubschrauber ab und fallen aus dem Fenster, in fabrikmäßigen Mengen.“