„Sein Tod war langsam, grausam, unmenschlich“
Putin-Kritiker Alexander Litwinenko wurde 2006 vergiftet. Seine Witwe kritisiert die damalige Reaktion Londons.
Marina Litwinenko hält es für einen fatalen Fehler, dass das Verfahren gegen den mutmaßlichen Mörder ihres Mannes eingestellt wurde. SN: Was war Ihre erste Reaktion, als Sie von dem Giftanschlag auf Sergej Skripal gehört haben? Marina Litwinenko: Da kamen die Schmerzen wieder hoch. Ich musste sofort daran zurückdenken, welche Hölle mein Mann durchlebt hat, nachdem ihn russische Agenten in London mit dem radioaktiven Polonium vergiftet hatten. Sein Tod war langsam, grausam, unmenschlich. SN: Alle Spuren deuten auf Russland. Hat der russische Staat wirklich ein Motiv? Hier im Westen werde ich immer wieder gefragt: Warum sollte der Kreml Menschen umbringen lassen, das kann nicht sein. Oder ich höre: Der Giftanschlag schadet Putin doch. Umso mehr vor den Wahlen. Solche Aussagen zeugen von einem völligen Unverständnis des Systems Putin. Wir übertragen unsere eigenen, friedlichen Absichten auf ihn, den gelernten KGB-Offizier. SN: Was sind seine Absichten? Morde passen zu diesem System. Es basiert auf der Sowjetunion und dem KGB – und für die waren Morde Mittel zur Politik. Mit den Morden wird Angst gesät. Sie sind ein Warnschuss an Regimegegner und potenzielle Überläufer. Und die russischen Medien zelebrieren die Taten als Beleg für das Wiedererstarken Russlands unter Putin. Das Leitmotiv: Er ist so stark, dass er tun kann, was er will. Gerade vor den Wahlen helfen Putin solche Muskelspiele. SN: Stolz auf Morde – ist das nicht etwas übertrieben? Wer sich das nicht vorstellen kann, sollte sich das Schicksal des Mörders meines Mannes ansehen: Alexej Lugowoj ist heute geachteter Abgeordneter der Duma, gern zitiert in russischen Medien. Ausgerechnet kurz nach dem Mord an Oppositionsführer Boris Nemzow bekam Lugowoj persönlich aus der Hand Putins einen der höchsten Orden Russlands. Kann man noch die Unschuldsvermutung für Putin gelten lassen, wenn man solche Fakten kennt? SN: Halten Sie die Reaktion des Westens für ausreichend? Nach der Ermordung meines Mannes wollte die Politik offenbar keinen Ärger mit Putin. Und deshalb auch kein Verfahren. Ausgerechnet Theresa May, die heutige Premierministerin, machte sich damals als Innenministerium für die Einstellung stark. Ich musste selbst den britischen Staat verklagen, damit der Fall vor einen Richter kam. Der stellte fest: Der Kreml ist für den Mord an meinem Mann verantwortlich. Putin selbst hat die Tat wahrscheinlich gebilligt. SN: Waren Londons Konsequenzen richtig? Schritte, die Putin und seinem System wehgetan hätten, wurden trotz dieses Richterspruchs nicht unternommen. Ich halte das für einen fatalen Fehler. Ich bin überzeugt: Dass man Putin den Mord an meinem Mann quasi durchgehen ließ, war geradezu eine Ermunterung zu weiteren dreisten, geradezu demonstrativen Gesetzesverstößen bis hin zu Morden. Warum sollten sich die Machthaber im Kreml davor fürchten, wenn ihnen der Westen doch gezeigt hat, dass er selbst einen Mord durchgehen lässt? SN: Was wären die richtigen Konsequenzen? Die Verantwortlichen im Westen müssen aufhören, wegzusehen und Probleme mit Putin schönzureden. Wenn sie jetzt keine rote Linie ziehen, wenn sie die Morde und Anschläge durchgehen lassen, sind sie mitverantwortlich für die nächsten. Ein Anfang wären Einreiseverbote und Kontensperrungen für hochrangige Vertreter des Systems Putin.