Die Messer gemahnen an den Liebesschwur
Ein junger Fleischhauer versichert seiner Verlobten: „Du entgehst mir nicht.“Viele junge Frauen haben sich ihm beugen müssen.
WIEN. „Ich werde dich auch noch weiter lieben, du entgehst mir nicht“, versichert der junge Fleischhauer Oskar, als seine Verlobte Marianne eines Sonntags mit einem anderen Mann schmusend im Gebüsch an der Donau erwischt wird. Unter der Woche trifft man Oskar mit dem einen oder anderen Messer am Gürtel baumelnd vor „seiner gediegenen Fleischhauerei mit halben Rindern und Kälbern, Würsten, Schinken und Schweinsköpfen in der Auslage“, wie Ödön von Horváth es vorgegeben hat. In dieser „stillen Straße im achten Bezirk“in Wien lehnt Oskar auch gern – etwa wenn die Blutwürste fertig sind – in der Tür und manikürt sich mit seinem Messer. Sein Schwur wird aufgehen: Verarmt und gedemütigt wird Marianne zurückkommen.
Messer, Schweinskopf und Würste erlauben seit gestern, Donnerstag, ein ungewöhnliches Erlebnis: Während man sich sonst die „gediegene Fleischhauerei“lesend in der Fantasie ausmalt oder auf einer Bühne betrachtet, kann man sie nun betreten. Das löst mulmige Gefühle aus. Denn kaum ein Theaterdichter hat Orte und Requisiten mit solch psychologischer Symbolkraft eingesetzt wie Ödön von Horváth, dem das österreichische Theatermuseum in Wien seine neue Ausstellung widmet. Um auch in dessen subtil entlarvende Sprachwelt einzutauchen, kann man Helmut Qualtinger als eine der größten Oskar-Gestalten der Theatergeschichte erleben. Dessen brachialer Liebe ist damals Johanna Matz nicht entgangen – in der Verfilmung aus 1961 von „Geschichten aus dem Wiener Wald“, einem der meistgespielten Stücke Horváths.
Von drei Theaterstücken hat Bühnenbildner Peter Karlhuber die Spielorte ins Palais Lobkowitz gebaut. Darin vermitteln Requisiten, Videos von vielerlei Aufführungen, Fotos und Dokumente die Denkund Seelenräume Horváths. Dieser habe an der „Demaskierung des Bewusstseins“gearbeitet; er habe die Verflechtungen von Wirtschaft, Erotik und Politik freigelegt, erläutern die Kuratoren Nicole StreitlerKastberger und Martin Vejvar.
Aus den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ist auch die Trafik der Kanzleiobersekretärswitwe Valerie zu besichtigen. Dass bei der Puppenklinik von Oskars künftigem Schwiegervater im Gesicht einer Bubenpuppe ein Hitlerbart klebt, wird kein Zufall sein: Horváth war einer der ersten und hellsich- tigsten Kritiker des Nationalsozialismus.
Dieser prononcierte Antifaschismus wird im Stück „Italienische Nacht“deutlich, das 1931 in einem ebenfalls hier nachgebauten bayerischen Wirtshaus spielt. Zudem baumelt im Hof des Palais Lobkowitz eine Schiffschaukel – als wär’s eine Leihgabe vom Münchner Oktoberfest, wo die Liebe von Kasimir und Karoline zerbricht. Kasimir ist grantig, weil er seinen Job als Chauffeur verloren hat. Karoline will sich vergnügen, und ein neuer Verehrer erklärt ihr: „Nehmen wir an, Sie lieben einen Mann. Und nehmen wir weiter an, dieser Mann wird nun arbeitslos. Dann läßt die Liebe nach, und zwar automatisch.“Wie unverblümt Horváth die in uns vergrabenen Motive bloßstellt, bezeugt auch der Titel der Schau: „Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur.“
Anders als die verengt dogmatischen Stücke Bertolt Brechts seien jene Horváths problemlos aktualisierbar, erläutert der Literaturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk im Katalog. Denn Figuren wie Inhalte blieben ambivalent, sogar „dem übelsten Schieber oder dem geilen, betrunkenen Geschäftsmann“werde ein Quäntchen Mitleid verabreicht. Horváths Blick sei durchdringend, aber nicht feindselig.
„Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur.“