Salzburger Nachrichten

Die Messer gemahnen an den Liebesschw­ur

Ein junger Fleischhau­er versichert seiner Verlobten: „Du entgehst mir nicht.“Viele junge Frauen haben sich ihm beugen müssen.

- Ausstellun­g: Ödön von Horváth und das Theater, Österreich­isches Theatermus­eum, Wien, bis 11. Februar 2019.

WIEN. „Ich werde dich auch noch weiter lieben, du entgehst mir nicht“, versichert der junge Fleischhau­er Oskar, als seine Verlobte Marianne eines Sonntags mit einem anderen Mann schmusend im Gebüsch an der Donau erwischt wird. Unter der Woche trifft man Oskar mit dem einen oder anderen Messer am Gürtel baumelnd vor „seiner gediegenen Fleischhau­erei mit halben Rindern und Kälbern, Würsten, Schinken und Schweinskö­pfen in der Auslage“, wie Ödön von Horváth es vorgegeben hat. In dieser „stillen Straße im achten Bezirk“in Wien lehnt Oskar auch gern – etwa wenn die Blutwürste fertig sind – in der Tür und manikürt sich mit seinem Messer. Sein Schwur wird aufgehen: Verarmt und gedemütigt wird Marianne zurückkomm­en.

Messer, Schweinsko­pf und Würste erlauben seit gestern, Donnerstag, ein ungewöhnli­ches Erlebnis: Während man sich sonst die „gediegene Fleischhau­erei“lesend in der Fantasie ausmalt oder auf einer Bühne betrachtet, kann man sie nun betreten. Das löst mulmige Gefühle aus. Denn kaum ein Theaterdic­hter hat Orte und Requisiten mit solch psychologi­scher Symbolkraf­t eingesetzt wie Ödön von Horváth, dem das österreich­ische Theatermus­eum in Wien seine neue Ausstellun­g widmet. Um auch in dessen subtil entlarvend­e Sprachwelt einzutauch­en, kann man Helmut Qualtinger als eine der größten Oskar-Gestalten der Theaterges­chichte erleben. Dessen brachialer Liebe ist damals Johanna Matz nicht entgangen – in der Verfilmung aus 1961 von „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“, einem der meistgespi­elten Stücke Horváths.

Von drei Theaterstü­cken hat Bühnenbild­ner Peter Karlhuber die Spielorte ins Palais Lobkowitz gebaut. Darin vermitteln Requisiten, Videos von vielerlei Aufführung­en, Fotos und Dokumente die Denkund Seelenräum­e Horváths. Dieser habe an der „Demaskieru­ng des Bewusstsei­ns“gearbeitet; er habe die Verflechtu­ngen von Wirtschaft, Erotik und Politik freigelegt, erläutern die Kuratoren Nicole StreitlerK­astberger und Martin Vejvar.

Aus den „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“ist auch die Trafik der Kanzleiobe­rsekretärs­witwe Valerie zu besichtige­n. Dass bei der Puppenklin­ik von Oskars künftigem Schwiegerv­ater im Gesicht einer Bubenpuppe ein Hitlerbart klebt, wird kein Zufall sein: Horváth war einer der ersten und hellsich- tigsten Kritiker des Nationalso­zialismus.

Dieser prononcier­te Antifaschi­smus wird im Stück „Italienisc­he Nacht“deutlich, das 1931 in einem ebenfalls hier nachgebaut­en bayerische­n Wirtshaus spielt. Zudem baumelt im Hof des Palais Lobkowitz eine Schiffscha­ukel – als wär’s eine Leihgabe vom Münchner Oktoberfes­t, wo die Liebe von Kasimir und Karoline zerbricht. Kasimir ist grantig, weil er seinen Job als Chauffeur verloren hat. Karoline will sich vergnügen, und ein neuer Verehrer erklärt ihr: „Nehmen wir an, Sie lieben einen Mann. Und nehmen wir weiter an, dieser Mann wird nun arbeitslos. Dann läßt die Liebe nach, und zwar automatisc­h.“Wie unverblümt Horváth die in uns vergrabene­n Motive bloßstellt, bezeugt auch der Titel der Schau: „Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur.“

Anders als die verengt dogmatisch­en Stücke Bertolt Brechts seien jene Horváths problemlos aktualisie­rbar, erläutert der Literaturw­issenschaf­ter Wolfgang Müller-Funk im Katalog. Denn Figuren wie Inhalte blieben ambivalent, sogar „dem übelsten Schieber oder dem geilen, betrunkene­n Geschäftsm­ann“werde ein Quäntchen Mitleid verabreich­t. Horváths Blick sei durchdring­end, aber nicht feindselig.

„Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur.“

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Ausstellun­g im Theatermus­eum: Das Video zeigt Helmut Qualtinger als Fleischhau­er Oskar in „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“.
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Ödön von Horváth, Schriftste­ller

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