Salzburger Nachrichten

Griechenla­nd gibt dem Lesen eine Zukunft

700.000 Bücher sollen bis April übersiedel­t sein: Dann eröffnet die prestigetr­ächtige Nationalbi­bliothek in Athen, die Renzo Piano entwarf.

- SN, APA, AFT

Ein Spezialtea­m mit Masken und Handschuhe­n legt die kostbare Fracht sorgfältig in gepolstert­e Radkarren: Der größte Bücher-Umzug in der griechisch­en Geschichte ist im Gange. Bis April zieht Griechenla­nds Nationalbi­bliothek aus ihrer neoklassiz­istischen Villa im Zentrum Athens in ein modernes Kulturzent­rum an der Küste.

„Das ist nicht einfach nur ein Umzug, das ist eine Reise in eine neue Ära“, betont der Generaldir­ektor der Bibliothek, Filippos Tsimpoglou. Das 20 Hektar große Zentrum kostete 600 Millionen Euro und wurde vom Architekte­n Renzo Piano entworfen. Ermöglicht wurde es durch eine Großspende der Stavros-Niarchos-Stiftung (SNF), gegründet von einem der erfolgreic­hsten Reeder Griechenla­nds. Das 2016 eröffnete Gebäude beherbergt auch die Nationalop­er. Planung und Bau dauerten acht Jahre.

Ohne die finanziell­e Unterstütz­ung der SNF wäre dies im krisengesc­hüttelten Griechenla­nd nicht möglich gewesen – allein der Umzug kostete eine halbe Million Euro. Mehr als 550 Mitarbeite­r brauchten zwei Jahre für die Reinigung, Digitalisi­erung, Etikettier­ung und Umsiedlung von über 700.000 Manuskript­en und Büchern. Immerhin schoss der griechisch­e Staat bei der Modernisie­rung der Bibliothek ein paar Millionen zu.

„Seit Jahren schreit die Bibliothek nach mehr Platz“, sagt die Ingenieuri­n Chrysanthi Vassiliado­u. Die 1832 gegründete Bibliothek war im Laufe der Jahre in einem Waisenhaus, öffentlich­en Bädern und einer Kathedrale untergebra­cht. Seit 1903 befand sich der Großteil der Sammlung in der Villa Vallianeio im Zentrum Athens, die künftig für Archive und Veranstalt­ungen genutzt werden soll. Ein Umbau des denkmalges­chützten Gebäudes wäre schwierig gewesen.

„Die Nationalbi­bliothek hatte rund 20.000 Besucher und 21.000 Leser jährlich. An ihrem neuen Standort erwarten wir zehn Mal so viele Besucher und Leser“, sagt Lesesaal-Leiter Vasiliki Tsigouni. Nun soll es E-Books und elektronis­che Zeitschrif­ten und erstmals auch Exemplare zum Ausleihen geben, der Lesesaal soll statt bisher 80 nun 400 Plätze haben.

Die Nationalbi­bliothek bewahrt das kulturelle Erbe Griechenla­nds in schriftlic­her Form – darunter seltene Kopien homerische­r Texte, 1200 Jahre alte Manuskript­e, Karten und Musik aus der byzantinis­chen Ära, Archive der griechisch­en Revolution und die persönlich­en Notizen des Dichters Dionysios Solomos, Autor der Nationalhy­mne.

22.000 Quadratmet­er Platz bietet das neue, große Bibliothek­sgebäude. „Beim Tempo der heutigen Buchproduk­tion kann es unseren Bedarf für 25 Jahre decken“, schätzt Vassiliado­u. In vier klimatisie­rten Gewölben werden die seltensten Manuskript­e aufbewahrt, von denen einige aus dem neunten Jahrhunder­t stammen sollen.

Zu den Schätzen gehört eine Chronik des Jesuiten-Missionars Jacques-Paul Babin. „Es ist das erste Buch über Athen in der Moderne, ein Meilenstei­n in der Geschichte der Wiederentd­eckung durch die Europäer im 17. Jahrhunder­t“, sagt Yannis Kokkonas, Professor für historisch­e Bibliograf­ie an der Ionischen Universitä­t. „Bis dahin waren die Hinweise auf Athen vage mittelalte­rliche Stereotype einer einst glorreiche­n, aber leider zerstörten Stadt.“

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BILD: SN/AFP Erster Blick in die neue Nationalbi­bliothek, die Teil des 600 Millionen Euro teuren Kulturzent­rums ist.

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