Kinder warten nach Kriegstrauma auf Hilfe
Geflüchtete haben oft Grausames erlebt. In Österreich sollten Kinder sich sicher fühlen dürfen. Aber der Schrecken endet nicht einfach so.
WIEN. Gefoltert, missbraucht, vergewaltigt, versklavt: 28 Millionen Minderjährige fliehen laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR aktuell vor Krieg und Gewalt. Einige finden in Österreich ein Zuhause. Aber: „Wenn Ruhe im Leben einkehrt, brechen Traumata auf. Es ist nicht plötzlich alles gut, nur weil man eine Wohnung und Essen hat“, sagt Sonja Brauner. Sie ist Kinder- und Jugendtherapeutin bei Hemayat, einem Betreuungszentrum für Folterund Kriegsüberlebende in Wien.
Seit zehn Jahren gibt es dort auch Kinder- und Jugend-Traumatherapie. Weil Flüchtlinge aus Syrien nach Österreich kommen, steigt die Zahl der Klienten: „2017 waren 237 der 1309 Klienten minderjährig“, sagt Geschäftsführerin Cecilia Heiss – „so viele wie nie“. Sie bedauert, dass es für die Therapien Wartelisten gibt. Es müsse sofort geholfen werden, „denn wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun“. Trotzdem stehen 88 Kinder auf der Warteliste. Bis zu einem Jahr dauert es, bis ein Platz für eine Einzeltherapie frei wird. Der Bedarf steigt.
Therapeutin Sonja Brauner arbeitet mit Mädchen und Burschen, bei denen die seelischen Wunden des Kriegs nicht verheilt sind. Bei Kunst- oder Gruppentherapie etwa finden die jungen Klienten nach und nach einen Weg, mit dem Erlebten umzugehen. Sie kommen, weil sie daheim, in Kindergarten oder Schule aggressiv sind – oder sich völlig zurückziehen und mit niemandem mehr sprechen. Die Symptome sind unterschiedlich; Burschen neigen dazu, ihre Konflikte laut nach außen zu tragen. Mädchen leiden öfter leise.
Das Denken, dass Kinder zu klein seien, um mitzubekommen, was ihnen, ihrer Familie und ihrem Volk angetan wird, sei falsch, erklärt Hemayat-Geschäftsführerin Cecilia Heiss. Es komme auch vor, dass Kinder die Schrecken spüren, die eigentlich ihre Eltern mitmachen mussten. Traumata können allein durch Erzählungen von einer Generation auf die nächste übergehen. Das führe zu Aggression, Schlafsowie Essstörungen oder zum Bettnässen.
Rund 35 Prozent des HemayatBudgets kommen aus der öffentlichen Hand, hauptsächlich vom Innenministerium und aus EUGeldern. Kinder- und Jugendtherapien haben 2017 etwa 180.000 Euro im Budget ausgemacht. Um die 88 wartenden Mädchen und Burschen zu behandeln, wären bei einem angenommenen Therapiebedarf von zehn Stunden zusätzlich 70.000 Euro notwendig. Bereits nach acht bis zehn Therapiestunden hätten traumatisierte Kinder meist wieder Boden unter den Füßen.
Therapeutin Sonja Brauner berichtet vom dreijährigen Karim aus dem Iran. Sein Vater war als Regimegegner in Haft. In einer Sitzung wollte sie „die Bösen“in Form von Playmobil-Figuren in ein Gefängnis stecken. Karim protestierte: In seinem Denken sind die Guten – wie sein Vater – in Haft. Brauner und er einigten sich, die Bösen auf eine Insel mit Haifischen rundum zu verbannen, damit Karim sich sicher fühlen durfte. So gelang es, seine Erlebnisse zu verarbeiten.