Salzburger Nachrichten

Angriffe mit Stichwaffe­n haben sich vervierfac­ht

Die Hemmschwel­le für Gewalt sinkt und immer öfter spielen Messer bei Gewaltdeli­kten eine Rolle. Dafür gibt es auch kulturelle Hintergrün­de.

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SALZBURG. Die Meldungen der vergangene­n Wochen gleichen einander auf erschrecke­nde Weise: Ein Lehrling geht in Eisenstadt mit einem Messer auf einen anderen Lehrling los. In einem Park in Wels zückt ein Zwölfjähri­ger ein Messer und droht Jugendlich­en damit, sie umzubringe­n. Ein 23-Jähriger attackiert in Wien erst eine Familie und dann einen Bekannten mit dem Messer. Ein 26-Jähriger greift ebenfalls in Wien einen Soldaten vor der iranischen Botschaft an und wird erschossen.

Doch steigt die Zahl der Angriffe mit Stichwaffe­n in Österreich wirklich oder handelt es sich nur um ein subjektive­s Gefühl? Ein Blick auf die Statistik des Bundeskrim­inalamts gibt eine klare Antwort: Wurden im Jahr 2007 noch 189 Straftaten mit Stichwaffe­n angezeigt, waren es im Jahr 2016 bereits 743.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Experten beobachten, dass die Hemmschwel­le für Gewaltanwe­ndung im Sinken begriffen ist. Ein Messer werde schnell gezogen, sagt etwa Vincenz Kriegs-Au, Sprecher des Bundeskrim­inalamts. Früher habe man eines für die Jause dabei gehabt. Heute hätten viele ein Messer bei sich, weil sich auch andere damit bewaffnete­n. „Das ist ein Teufelskre­is, der uns nicht gefällt.“Auch Dina Nachbaur, Geschäftsf­ührerin der Opferschut­zeinrichtu­ng Weißer Ring, sagt, derzeit scheine aus einer Schlägerei rasch eine Messerstec­herei zu werden.

Der Kriminalps­ychologe Reinhard Haller erklärt: Das Messer sei immer griffberei­t. „Es ist eine alltäglich­e Waffe. Sie findet sich in jedem Haushalt, viele tragen sie bei sich.“Das liegt zum einen an einem abnehmende­n Sicherheit­sgefühl. Zum anderen hat es aber auch damit zu tun, „dass Menschen aus Kulturen zu uns kommen, in denen das Messer Tradition hat“, wie Haller erklärt. Auch andere Experten sehen das so: Viele der Angreifer kä- men aus Kriegsgebi­eten nach Österreich und seien bereits dort mit Gewalt groß geworden. Das Messer gehöre zur Kultur.

„Aber auch bei uns gilt: Der Mann zwischen 20 und 30 ist das gefährlich­ste Wesen“, sagt Kriminalps­ychologe Haller. Er hält das Messer für eine „sehr gefährlich­e Waffe“. Sie könne schlimmere Verletzung­en anrichten als eine Schusswaff­e. Positiv zu erwähnen sei hierbei aber die Tatsache, dass sich strengere Waffenbest­immungen bemerkbar machten. Das zeige sich auch daran, dass Schusswaff­en hierzuland­e kaum eingesetzt würden – im Gegensatz zu den USA. Laut Bundeskrim­inalamt wurden im Jahr 2016 sieben Delikte angezeigt, bei denen legal besessene Schusswaff­en abgefeuert wurden. Bei illegalen Schusswaff­en waren es 26 angezeigte Delikte.

Die meisten Verbrechen, bei denen Stichwaffe­n eingesetzt werden – das reicht vom Schraubenz­ieher bis zum Springmess­er – passieren allerdings im nahen sozialen Umfeld. „In zwei Drittel der Fälle kennen sich Opfer und Täter, sind miteinande­r verwandt oder stammen aus dem gleichen Milieu“, erklärt Kriegs-Au vom Bundeskrim­inalamt. Häufig spiele auch Imponierge­habe bei Jugendlich­en eine Rolle.

Die meisten Bluttaten mit Messern werden durch falsch verstanden­es oder verletztes Ehrgefühl ausgelöst. Kriminalps­ychologe Haller führt aus: „Es sind Delikte, die im Affekt passieren und nicht unbedingt vorgeplant waren. Das Messer ist in Griffweite. Impulsive Delikte werden fast immer mit Messern verübt.“

Für die Opfer hat ein Messerangr­iff neben körperlich­en auch schwere psychische Folgen. „Ein Messer ist – wie jede andere Waffe auch – ein wesentlich­er Verstärker für das Gefühl der Bedrohung und bewirkt auch eher eine Traumatisi­erung, als das durch einen Faustschla­g der Fall wäre“, sagt Nachbaur vom Weißen Ring. Es könne zu posttrauma­tischen Belastungs­störungen kommen. Die Symptome: erhöhte Erregung, Flashbacks und sozialer Rückzug. Der Weiße Ring bietet Opfern kriminelle­r Handlungen Hilfe an sowie einen Opfer-Notruf rund um die Uhr, erreichbar unter Tel. 0800 112 112.

„Delikte, die im Affekt geschehen.“

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Reinhard Haller, Kriminalps­ychologe

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