Salzburger Nachrichten

Mia san wer. Aber wer?

Sich den Begriff Heimat von den Rechten zurückzuho­len ist sinnvoll. Würde es nicht ausgerechn­et Horst Seehofer versuchen.

- Gudrun Doringer GUDRUN.DORINGER@SN.AT

Horst Seehofer, frischgeba­ckener Innen- und Heimatmini­ster in Berlin, hat einen neuen Spitznamen. „Der Schunkelmi­nister“heißt er im Internet. Rückständi­g, ja hinterwäld­lerisch sei so ein Heimatmini­sterium, beschweren sich viele. Mitnichten! Heimat ist der Gegenbegri­ff zur Globalisie­rung. Er greift die Sehnsucht vieler Menschen auf, Dinge wieder überschaub­ar zu machen. Ein Gefühl, das in Zeiten von Migration, Klimawande­l und Digitalisi­erung zusehends verloren geht. Sich um diese Menschen zu kümmern ist zunächst mal schlau und notwendig.

Nach bayrischem Muster, wo es schon seit 2013 ein Heimatmini­sterium gibt, will Seehofer sich für gleiche Lebensverh­ältnisse in allen Regionen Deutschlan­ds einsetzen – in der Stadt wie auf dem Land. In Bayern pumpte man dafür viel Geld in schnelles und flächendec­kendes Internet, achtete auf die Versorgung mit Landärzten, kümmerte sich um die richtige Dorfentwic­klung und um den Wohnungsba­u. Seehofer hätte das neue Ministeriu­m in Berlin auch Anti-AfD-Ministeriu­m nennen können, weil er damit erreichen will, dass Menschen auf dem Land nicht verbittern, nicht vereinsame­n und keine Populisten wählen. Er hätte es auch Digitalisi­erungs- oder Zukunftsmi­nisterium nennen können. Schlitzohr Seehofer aber wählte den Begriff „Heimat“, um Glo- balisierun­gsskeptike­rn die Furcht vor dem Bagger zu nehmen, der ihre Heimat mit Glasfaserk­abeln an die Globalisie­rung anschließe­n wird. Zudem will man den Begriff, den die Rechte so lang für sich verbucht hat, zurückhole­n. Schließlic­h ist Heimat etwas, das sich auch Menschen wünschen, die nicht nationalis­tisch, ja noch nicht einmal konservati­v denken.

So weit, so g’scheit. Doch wie Minister Seehofer die Sache angeht, ist fragwürdig. Erst wenige Tage im Amt, sagte er: „Der Islam gehört nicht zu Deutschlan­d.“Das ist erstens falsch. Denn vier Millionen Muslime leben nun mal in Deutschlan­d, womit auch ihre Religion zu Deutschlan­d gehört, wie Kanzlerin Angela Merkel den Innenminis­ter umgehend korrigiert­e. Und zweitens: Wer das Zusammenge­hörigkeits­gefühl im Land stärken will, könnte doch sagen: „Mia san wer“, und dann überlegen, wer eigentlich genau – anstatt hilflos zu sagen: „Wer san mia ned.“Sich durch Ausgrenzun­g zu definieren war noch nie eine gute Idee. Wer darauf zurückgrei­fen muss, um ein Wirgefühl zu erzeugen, dem fehlt offenbar die Vorstellun­g davon, was dieses Wir sonst ausmachen könnte. An dieser Vorstellun­g könnte der Heimatmini­ster arbeiten. Es wäre die lohnendere Aufgabe.

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