Ein Täfelchen beschleunigt die Integration
Junge Männer aus Thrakien oder Gallien schützten die Grenze im heutigen Niederösterreich.
Werden Staatsdienst, Ehre und Liebe verbunden, kann gelingen, was heute Integration heißt. Dies bezeugt ein metallenes Täfelchen, das ein ungewöhnliches Exponat in der neuen Ausstellung im Stift Klosterneuburg ist. Das Stift steht seit dem 11. Jahrhundert auf Ruinen eines römischen Lagers an der Außengrenze des Kaiserreiches. Dieses hatte sich rund ums Mittelmeer ausgedehnt und war im 1. Jahrhundert mit rund acht Millionen Quadratkilometern etwa doppelt so groß wie die heutige EU.
Der Limes von Nordengland bis in den Nahen Osten sei eine Kette von Lagern und Wachtürmen gewesen, schildert der Archäologe Roman Igl im Katalog zur Ausstellung, die das Lager namens Arrianis vorstellt. An einigen Abschnitten seien bis zu 4,5 Meter hohe Mauern gebaut worden, wie „Hadrian’s wall“in England. Im heutigen Österreich sei die Donau als Grenze markant genug gewesen. Mittels Lagern und Türmen am Südufer – etwa alle vierzehn Kilometer, also in Sichtverbindung – sei der Personen- und Warenverkehr zwischen Barbaricum und dem römischen Reich kontrolliert worden. Roman Igl stellt klar: Der Limes sei nicht Bollwerk gewesen, sondern Fiskalgrenze, an der kultureller und wirtschaftlicher Austausch geduldet gewesen sei.
Neben großen Lagern in Lauriacum (Enns), Vindobona (Wien) und Carnuntum mit je bis zu 6400 Mann hat es Roman Igl zufolge viele Hilfstruppenlager mit 500 bis 1000 Mann gegeben. Eines war rund 400 Jahre auf dem heutigen Klosterfels.
Woher waren so viele Soldaten zu rekrutieren? Das hat mit Aufruhr und Heirat zu tun. Für die Hilfstruppen seien 16- bis 20-jährige Männer aus den Provinzen rekrutiert worden, schildert der Historiker Ekkehard Weber. Dass diese unbegleite- ten Burschen – vielleicht aus Dalmatien, Gallia, Hispania oder Mauretania in Nordafrika – zum Militär gesteckt worden seien, habe „einen möglichen Unruhefaktor“gegen die römische Herrschaft behindert. Damit diese ihre besten Mannesjahre an Grenzen wie in Noricum zubrachten, wurde ihnen nach spätestens 25 Jahren versprochen, was dann in einem „Militärdiplom“verbrieft worden ist: das römische Bürgerrecht für sich und die Nachkommen sowie das Recht zu heiraten.
Dies war so kostbar, dass es auf einer Metalltafel eingraviert wurde. Um diese Urkunde fälschungssi- cher zu machen, habe sie aus zwei Täfelchen bestanden, erläutert Ekkehard Weber. Das in Klosterneuburg gefundene Diplom ist für „Soio, Sohn des Muscellus, aus dem Volk der Besser“; deren Heimat war im nördlichen Thrakien (heute Bulgarien).
Diese Aussicht auf ein ehrenvolles „conubium“, so der Terminus des römischen Rechts, dürfte das Leben in Arrianis doppelt lustvoll gemacht haben. Zum einen gestatteten die hiesigen Väter ihren Töchtern deren Konkubinate mit Soldaten – also nicht ehelichen Verhältnisse. Zudem belebte der Appetit der bis zu 1000 Soldaten die hiesige Landwirtschaft samt Weinbau sowie insgesamt die Konjunktur.
Um solche Lager seien kleine Städte entstanden, erläutert Roman Igl. Und: „Dies führte zu einer raschen Romanisierung der einheimischen keltischen Bevölkerung, (...) und durch die vielen Zuzügler aus anderen Reichsgebieten wurden die Akkulturationsprozesse (...) beschleunigt.“
Die Ausstellung zeigt viele Klosterneuburger Funde aus der Römerzeit – etwa Grabsteine, Münzen, Bronzestatuetten oder feines Tafelgeschirr aus Terra sigillata. Unter dem Kreuzgang ist eine Grabung sogar begehbar.