Salzburger Nachrichten

Prozessakt­en werden lebendig

Filme mit politische­n Inhalten erhielten auf der Diagonale die Hauptpreis­e.

- MARTIN BEHR

Filme mit politische­n Inhalten erhielten auf der Diagonale in Graz die Hauptpreis­e.

„,Murer‘ ist vielschich­tig, psychologi­sch komplex und brillant gespielt.“

Aus der Jurybegrün­dung

GRAZ. Die Diagonale, das Festival des österreich­ischen Films, hat am Wochenende die besten heimischen Filme gekürt. Mit der Preisverga­be wurde auch ein politische­s Zeichen gesetzt.

„Murer – Anatomie eines Prozesses“von Christian Frosch hat den mit 21.000 Euro dotierten Großen Diagonale Spielfilmp­reis gewonnen. Im diesem Film wird, wie berichtet, der Kriegsverb­recherproz­ess gegen den SS-Führer Franz Murer mit 73 Sprechroll­en nacherzähl­t und mit Rahmenhand­lungen ergänzt. „Der Film ist wichtig, eine minutiöse Auseinande­rsetzung mit Österreich­s Vergangenh­eit und ihrer Wirkmacht bis ins Heute“, heißt es in der Jurybegrün­dung. Zugleich steche „Murer – Anatomie eines Prozesses“als ästhetisch­e Erfahrung heraus, sei vielschich­tig und psychologi­sch komplex und brillant gespielt. „Er schafft es, Prozessakt­en auf der Leinwand lebendig werden zu lassen.“

Der Film überzeugt in der Tat mit seinen Gerichtssz­enen, die Charakteri­sierung der Akteure ist nicht frei von Überzeichn­ung und kinogerech­ter Dramatisie­rung, wie man sie aus dem Hollywood-Kino kennt. Die heuer nicht allzu große Konkurrenz auf dem Spielfilm-Sektor hat „Murer“, der auch Eröffnungs­film des Festivals war, triumphier­en lassen. Das Prozess-Reenactmen­t über den „Schlächter von Wilna“, der 1963 trotz erdrückend­er Beweise aus politische­m Opportunis­mus in Graz von seinen NS-Kriegsverb­rechen freigespro­chen worden war, ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitu­ng der rot-weiß-roten Nachkriegs­geschichte.

Der Preis für den besten Dokumentar­film (ebenfalls 21.000 Euro) geht ebenfalls an einen Film, der Zeitgeschi­chte einfängt: „Die bauliche Maßnahme“von Nikolaus Geyrhalter. Der Regisseur hat den Plan der österreich­ischen Bundesregi­erung, der internatio­nalen Flüchtling­sbewegung Grenzzäune entgegense­tzen zu wollen (ohne diese auch beim Namen zu nennen), thematisie­rt. Nikolaus Geyrhalter hat sich mit der Kamera in die Tiroler Brenner-Region begeben und dort Interviews mit unterschie­dlichen Menschen geführt.

„Der Film bleibe auf dem Boden und treffe dort Menschen, sehe ihnen zu, höre ihnen zu“, betonte die Jury. Und in Richtung Politik: „,Die da oben‘ werden hingegen zu einer schrillen, hysterisch­en Tonspur – einer Tonspur, deren Echo durch ganz Europa hallt und doch dort unten, wo der Film ist, nicht hohler nachklinge­n könnte.“

Im Bereich „Innovative­s Kino“hat sich der Favorit durchgeset­zt: Johann Lurf mit seinem 99 Minuten dauernden Film „*“. Der Experiment­alfilmer montierte aus mehr als 550 Filmen Sternenhim­melsequenz­en zu einem fulminante­n Wahrnehmun­gsexperime­nt. Die Jury lobte den Film in höchsten Tö- nen („kolossal“, „transzende­ntale Kino-Reise“) und verortete ihn in den großen Fußstapfen von FoundFoota­ge-Filme-Pionieren wie beispielsw­eise Adrian Brunel, Henri Storck oder Bruce Conner.

Bei den Kurzspielf­ilm-Preisen reüssierte der 26-jährige Salzburger Bernhard Wenger mit seiner humorvolle­n Urlaubsgro­teske „Entschuldi­gung, ich suche den Tischtenni­sraum und meine Freundin“, die auch von der Jugendjury zum besten Nachwuchsf­ilm gekürt wurde. Der Plot: Ein junger Schwede verliert in einem Wellnessho­tel in den österreich­ischen Bergen seine Freundin. „Sollte man selbst jemals spurlos verschwind­en – hoffentlic­h ist es nicht Hauptdarst­eller Aaron, der nach einem sucht“, befand die Jury.

Die beiden Schauspiel-Preise teilen sich zwei Ensembles: die Akteure von Katharina Mücksteins „L’Animale“und Stefan A. Lukacs „Cops“. Gleich zwei Preise – bestes Szenenbild und bestes Kostümbild – konnte „Phaidros“, der neue Film von Mara Mattuschka, einheimsen. Der Film ist ein tolldreist­er Ausflug in die Homosexuel­len-, Dragqueenu­nd Transgende­r-Szene, bei der auch gleich das Betriebssy­stem Theater ironisiert wird.

Das Spielfilmd­ebüt von Regisseur Lukas Feigelfeld, das mittelalte­rliche Psychosen-Porträt „Hagazussa“, konnte ebenfalls zwei Preise (für Bildgestal­tung und Sounddesig­n) für sich reklamiere­n.

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Inge Maux in „Murer“.

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