Nachfolger ist nicht in Sicht
Nach der Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin kritisieren internationale Wahlbeobachter, dass es in Russland keinen politischen Wettbewerb mehr gebe.
„Ich bin 65. Soll ich bis 100 hier sitzen? Nein!“– Wladimir Putin musste schon am Abend seiner Wiederwahl auf die Frage aller Fragen antworten, wie lang er noch bleibt. 76,67 Prozent Wählerstimmen (bei einer Stimmbeteiligung von rund 67 Prozent) hat ihm die Wahlleitung zugeschrieben – sein offiziell bestes Ergebnis in 18 Jahren an der Macht in Russland. Zunächst muss er Russland durch seine vierte und laut Verfassung letzte Amtszeit steuern. Doch die Nachfolge treibt Russland bereits jetzt um.
„Die Bürger unseres Landes haben dem Präsidenten, und das ist kostbar, ein Mandat für eine starke Innen- und Außenpolitik gegeben“, sagte Valentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrats. Doch das ist die offizielle Sicht. Die Wirtschaftszeitung „Wedomosti“fragte am Montag nach der Wahl kritischer: „Wofür braucht Putin weitere sechs Jahre an der Macht? Wenn der Präsident frisch und voller Pläne ist – gut; wenn er aber müde ist und sich nur fürchtet, den Thron zu verlassen, ist das etwas anderes.“Tatsächlich hat Putin zur Wahl kein neues Programm entwickelt. Er habe sein Interesse an der inneren Entwicklung verloren, schreiben russische Medien. Die rohstoffabhängige Wirtschaft etwa wird nicht reformiert.
Um zu verstehen, wie Putin trotz grassierender Korruption und wirtschaftlichen Stillstands angeblich ein solches Wahlergebnis erreichen konnte, hilft ein Blick zurück in den Winter 2011/2012. Seine Rückkehr in den Kreml damals war wenig triumphal, im Gegenteil überschatteten Massenproteste die Parlamentswahl im Herbst 2011 und Putins Wahl im März 2012. Putin und seiner Führung dürften die Demonstrationen den Schweiß auf die Stirn getrieben haben. Deshalb gingen sie daran, allem den Boden zu entziehen, was ihre Stellung gefährden konnte. Putins dritte Amtszeit war geprägt von repressiven Gesetzen: Das Demonstrationsrecht wurde eingeschränkt; die Zivilgesellschaft wurde gegängelt; Anti-Terror-Gesetze wurden strenger.
Das hat zu dieser Wahl besonders der Oppositionelle Alexej Nawalny zu spüren bekommen. Der selbsternannte Anti-Korruptions-Aktivist macht in Russland am erfolgreichsten Politik jenseits des Systems. Er prangert die Eliten an, kann junge Menschen mobilisieren. Mit einer juristisch fragwürdigen Vorstrafe machte die russische Führung Nawalny zum Zaungast.
Es gebe in Russland keinen politischen Wettbewerb mehr, rügten am Montag die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). „Putin ist ein autoritärer Manipulator der Öffentlichkeit. Und er ist echt populär. Beides zugleich“, sagt der Journalist Ilja Losowski. Populär offenbar vor allem wegen der Außenpolitik, weil Putin einer angeblich feindseligen Welt die Stirn bietet.
„Das Hauptziel des russischen politischen Systems ist, die herrschende Klasse so lange wie möglich an der Macht zu halten“, analysiert der Moskauer Politologe Andrej Kolesnikow. Daher gebe es kein Interesse an demokratischen Reformen und Liberalisierung. Putin hat zwar zuletzt eine Reihe junger Technokraten gefördert. Doch ein politischer Nachfolger ist nicht in Sicht, der wie er den Schiedsrichter zwischen den konkurrierenden Geheimdienst-, Wirtschaftsund Politikgruppen spielen könnte.