Was die Staats- und Regierungschefs der EU essen
Die Verpflegung der Spitzenpolitiker und ihrer Delegationen ist eine höchst knifflige Sache. Das beweist ein Blick hinter die Kulissen.
Passend zum EU-Frühlingsgipfel gab es gebratene Jakobsmuscheln mit Artischocken à la Barigoule (mit Schinken und Pilzen gefüllt) und Algenfond, danach Lammkarree mit Frühlingsgemüse und zum Dessert geeistes Zitronenparfait. Was nach Diner im französischen Haubenrestaurant klingt, war das Menü beim Arbeitsessen der EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel. Regelmäßig 28 europäische Spitzenpolitiker samt Delegationen so zu bekochen, dass es den Geschmacksvorstellungen der Spanier ebenso entspricht wie denen der Rumänen und Finnen, ist „ganz schön schwierig“, meint Jarosław Zaczykiewicz. Er koordiniert die kulinarische Versorgung im EU-Ratsgebäude bei Gipfeln und Treffen aller Art, inklusive Staatsbesuchen. Neun bis zehn Millionen offizielle Essen werden jedes Jahr im EU-Rat zubereitet. Die Menü-Zusammenstellung beschreibt der Cateringchef als französisch-international (der Küchenchef ist Franzose), regional und saisonal, vor allem aber neutral. Also kein halb rohes Fleisch, keine gefährdeten Fischarten. Solche Produkte sind quasi auf der „schwarzen Liste“. Andere Lebensmittel, wie das belgische Nationalgemüse Chicorée, Kohlsprossen, Hummer, Gänsestopfleber oder exotische Früchte werden aus Preis-, Hygieneund Umweltgründen oder schlicht aus ethischen Überlegungen vermieden. „Es ist alles eher nüchtern hier, wir sind nicht der Élysée-Palast und nicht bei Hofe“, sagt Zaczykiewicz, ein gebürtiger Pole.
Abgesehen von den Geschmäckern, Diäten, Allergien und religiösen Vorgaben, die es zu berücksichtigen gilt, müssen die Gerichte nebenbei zu essen sein. Denn die Anwesenden reden oder hören zu – für die Übersetzungen tragen sie Kopfhörer. Das Essen soll keine Flecken machen und nicht rollen oder herumspringen. Um sicherzugehen, gebe es vor den Gipfeln ein Testessen, erzählt der Cateringchef. Außerdem muss alles haltbar und einfach zu servieren sein, denn die Zeitpläne bei den Treffen halten nie und plötzlich müssen dann binnen 45 Minuten 100 Personen auf zwei Etagen ein dreigängiges Menü bekommen. Sollte ein Gipfelteilnehmer etwas anderes oder einen Nachschlag wollen, ist vorgesorgt.
Die Zeiten, als geschlemmt und genossen wurde, sind allerdings vorbei. Das Essen werde immer leichter, sagt Zaczykiewicz. Immer öfter würden statt eines Desserts Früchte verlangt.
Außerdem kommt der Weinkeller des Rates mit nur noch halb so vielen Flaschen aus wie einst, ein Indiz, dass auch weniger getrunken wird bei den Treffen. Früher ging es vor dem Essen oft noch in die hausinterne Bar – im neuen Europagebäude existiert so etwas nicht. Das Menü ist übrigens bis zum Ende des Essens geheim. Vielleicht um zu viele Änderungswünsche zu verhindern.