An Körpertrümmern endet der sichere Weg
Eine zarte Menschfigur verstellt am Eingang der Galerie Ropac den Weg. Ausweichen? Umrennen? Nichts davon taugt als beste Lösung.
SALZBURG. Das schmale Manderl breitet die Arme aus. Hier ist kein Weg. Jedenfalls keiner, der durch eine bequeme Mitte hineinführt in die Galerie Ropac in der Villa Kast. Dem Diskurs über Kunst, dem gern hochgedrehten Gerede über ihre undurchsichtige Bedeutung, stehen zunächst praktische Fragen im Weg.
Links vorbei? Rechts hinüber? Von der Option des Anrennens wird dringend abgeraten: Anrennen tut man erstens nicht, weil’s ein Kunstwerk ist, und zweitens ist das Manderl aus Stahl. Wer hier anrennt, verliert sicher.
„Fix“heißt die Figur des Briten Antony Gormley. Dass sie gleich hinter der Eingangstür den Weg, wenn schon nicht versperrt, so doch einschränkt, ist Absicht. „Es ist eine Testzone“, sagt der 67-jährige Gormley im SN-Interview. Die Villa Kast sei intim, aber auch städtisch, traditionell und wegen der Kunst doch in der Gegenwart. „Ein guter Ort, zu fragen, was man mit Kunst machen kann, wie Geist und Gefühl wirken.“
Die Figuren, deren Maß stets den Proportionen von Gormleys eigenem Körper entspricht, stehen nicht als bloße Abbildungen da. Sie stellen nichts nach. Sie repräsentieren nicht. Sie provozieren Reaktion. Sie fügen sich nicht dem Betrachter, sondern stellen sich ihm in den Weg oder kauern in einer Ecke wie Obdachlose. Diese Körper sind keine bloßen (Kunst-)Objekte. Sie werden Subjekte, beleben die Räume, die sie bevölkern.
Zum vierten Mal stellt Gormley bei Ropac in Salzburg aus. Die erste Ausstellung liegt genau zwanzig Jahre zurück. „Das war noch in Räumen auf der anderen Flussseite“,erinnert sich Gormley. „Earth Body“heißt die Schau. Die zwanzig Figuren – gezeigt werden dazu auch einige Zeichnungen – entstanden in den vergangenen zehn Jahren.
Männchen, zusammengeschweißt aus vieleckigen Zellen, begegnen einem. Manche sind eine halbe Tonne schwer, klobig, grob. Manche scheinen in Leichtigkeit zu schweben. Entworfen werden sie als futurisch anmutende Digitalmodelle, als Figuren, die erstellt sind aus Einzelteilen, die Zellen gleichen. Zum Leben erweckt werden sie mit Stahl, und wo sie auftauchen, steht man scheinbar organischen Wesen gegenüber.
Sie ducken sich ängstlich. Sie krümmen sich vor Schmerz. Sie jubeln in Siegerpose oder lehnen lässig an einer Wand. „Der Körper ist, was wir alle haben“, sagt Gormley. Und weil alle einen haben, interessiere ihn diese Beschäftigung mit dem Körper als dem „gemeinsamen Nenner“, der dazu taugt, „dass tatsächlich jeder darüber nachdenken kann“.
In einem Raum aber liegt ein zerlegter Körper. „Ground“heißt die Skulptur. Splitter und Brocken sind auf dem Boden verteilt. Hier vernichten Körpertrümmer jede distanzierte Betrachtungshaltung. Vorsichtig muss man sich als Besucher um die Brocken schlängeln, drübersteigen. Testzone. Anrennen gegen Gormleys Körper ist keine Option – außer es werden damit Gedanken angestoßen.
Ausstellung: Antony Gormley, „Earth Body“, Galerie Ropac, Salzburg, bis 12. Mai.