Salzburger Nachrichten

„Migration belebt den Arbeitsmar­kt“

„Leer gefegte Arbeitsmär­kte“für Fachkräfte treiben die Arbeitslos­igkeit für geringer qualifizie­rte Mitarbeite­r in die Höhe. Qualifizie­rte Migration könnte helfen – wenn der Markt mitbestimm­en kann, sagt ein profunder Kenner der Thematik.

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Migration belebt den Arbeitsmar­kt: Wie qualifizie­rte Einwandere­r gegen den Fachkräfte­mangel helfen könnten.

SN: Zwei Themen beherrsche­n den Arbeitsmar­kt: Arbeitslos­igkeit und Fachkräfte­mangel. Ist das nicht ein Widerspruc­h? Klaus F. Zimmermann: Es gibt einen Arbeitsmar­kt für die Qualifizie­rten und einen für weniger Qualifizie­rte. Auf dem einen kann es Facharbeit­ermangel geben, auf dem anderen Arbeitslos­igkeit. Zugleich kann auch Fachkräfte­mangel selbst Arbeitslos­igkeit erzeugen, weil ohne Fachkräfte gewisse Produktion nicht stattfinde­t und dabei auch geringer Qualifizie­rte mitwirken.

Wenn also neue Fachkräfte ins Land kommen, ob als Migranten oder von der Hochschule, schaffen sie damit auch Nachfrage nach anderen, die schon da sind. Und wenn dieser Markt leer geräumt ist wie jetzt, dann kann man auch andere Leute nicht in Beschäftig­ung bringen, die noch arbeitslos sind. SN: Wie kann man dieses Problem lösen ? Man könnte Leute ausbilden – aber bei schrumpfen­der und alternder Bevölkerun­g ist es unwahrsche­inlich, da rasch jemanden zu bekommen. Oder man könnte Leute durch Zuwanderun­g holen. SN: Ist also der jüngste Zuzug von Migranten gerade zur richtigen Zeit gekommen? Ich glaube nicht, dass wir mit der Flüchtling­szuwanderu­ng unser demografis­ches Problem gelöst haben. Erstmal ist die Zuwanderun­g viel zu klein, um relevant zu sein. Auch in Deutschlan­d, wo sie relativ groß ist. Von einer Million Flüchtling­en bleiben am Schluss nur 400.000 übrig, die in der Lage sind, am Arbeitsmar­kt zu bestehen – wegen Rückwander­ung, Nichtanerk­ennung oder fehlender Qualifikat­ion. Selbst wenn sie alle arbeitslos wären, würde die deutsche Arbeitslos­enquote nur um einen halben Prozentpun­kt steigen, also praktisch nicht bemerkbar.

Und für eine ökonomisch begründete Zuwanderun­g sind die Leute zu schlecht ausgebilde­t. Ich sage nicht, dass man berechtigt­en Flüchtling­en nicht eine Chance geben soll. Aber das löst unser Problem am Arbeitsmar­kt nicht. SN: Wie bekommen wir mehr qualifizie­rte Zuwanderun­g? Das müsste man anders regeln und so wie Australien oder Kanada nach bestimmten Kriterien auswählen. Oder man lässt den Arbeitsmar­kt entscheide­n. Das gibt es im Prinzip in Deutschlan­d schon heute. Wer hochqualif­iziert ist, einen Universitä­tsabschlus­s hat oder genug verdient, braucht nur ein Jobangebot, dann kann ihn keiner dran hindern zu kommen. Das wird aber kaum angenommen. Viele bleiben lieber in Australien oder gehen nach Amerika, wo sie mehr gewollt sind. Denn durch die Flüchtling­sdebatte haben wir in Europa das Image, wir wollen gar keine Zuwanderun­g. Das verhindert auch, dass sich Hochqualif­izierte bewerben. Der richtige Weg bei Flüchtling­en ist, möglichst frühzeitig zu schauen, wie sie qualifizie­rt werden und arbeiten können, bevor das Asylverfah­ren abgeschlos­sen ist. Ihr Arbeitsmar­ktpotenzia­l kann schon bei ihrer Ersterfass­ung festgestel­lt werden. SN: Wie gut funktionie­rt der innereurop­äische Arbeitsmar­kt, für den ja Freizügigk­eit gilt? Bei der Entwicklun­g des gemeinsame­n Europa in den 50er-Jahren war es das Ziel, dass alle Bereiche des Wirtschaft­slebens frei sind, auch der Arbeitsmar­kt. In der Ökonomie ist ja nicht immer alles im Lot. In Spanien haben 50 Prozent der Jugendlich­en keine Perspektiv­e, während es in Ländern wie Österreich oder Deutschlan­d Jobs gäbe.

Die Idee ist, dass diese Menschen sich frei bewegen dürfen, einen Job bekommen und dann Teile ihres Einkommens rücküberwe­isen in ihre Länder. Das findet auch zunehmend statt. Europa ist flexibler geworden – durch die Osteuropäe­r, aber auch durch Zuwanderer aus Drittstaat­en außerhalb Europas. Insofern ist die freie Mobilität von Migranten durchaus sinnvoll, rein ökonomisch gesehen. SN: Warum aber kann der EU-Arbeitsmar­kt Asymmetrie­n doch nicht völlig ausgleiche­n? Wegen Sprache, Klima und sozialen Netzwerken ist die Wanderungs­bereitscha­ft immer noch nicht hoch genug. Mit der Integratio­n der EuroLänder hat die Mobilität aber zugenommen. So ist es gelungen, asymmetris­che Schocks besser abzufangen, die Arbeitslos­igkeit ist gesunken, das Bruttosozi­alprodukt gestiegen. Trotzdem gibt es die Diskussion, dass Migranten kommen, um die Sozialsyst­eme auszubeute­n. Die Politik hat das noch geschürt. Und wenn sie arbeiten, hat man gesagt, Polen, Bulgaren und Rumänen würden Einheimisc­hen die Arbeitsplä­tze wegnehmen. Aber das ist eine empirisch nicht fundierte politische Meinung.

Die Arbeitsmar­ktforschun­g zeigt, dass Migration die Arbeitsmär­kte belebt hat. In England steht der „Polish plumber“, der polnische Installate­ur, auch für Kompetenz in Bereichen, wo man vorher keine hatte. Es ist keineswegs bewiesen, dass Zuwanderun­g in größerem Stil Arbeitslos­igkeit oder Lohndumpin­g generiert hätte. In Einzelfäll­en mag das passiert sein, aber nicht massenhaft. SN: Wie also sollte man Zuwanderun­g gestalten? Aus ökonomisch­er Sicht wären flexible Strukturen die Lösung. Es gibt einen Kanal, wo man sich bewerben und legal – unter Kontrolle – ins Land kommen kann. Wenn es das nicht gibt, kommen die Leute illegal. Es wären auch sogenannte zirkuläre Verträge zwischen Staaten möglich, sodass man etwa Kontingent­e aus Senegal für Verträge über drei Jahre nimmt. Danach müssen sie wieder zurückgehe­n. SN: Migranten suchen sich also Nischen, wo Einheimisc­he weniger Kompetenze­n haben? Sie suchen Nischen, sie decken auch neue Kompetenze­n ab. Oft geht das über Selbststän­digkeit, die ja während der kürzlich erfolgten EU-Osterweite­rung erlaubt war im Gegensatz zu normaler Arbeitsmig­ration. Viele Befürchtun­gen in diese Richtung sind nur Anekdote. Einzelfäll­e gibt’s immer. Aber man muss auf die Statistike­n schauen. Nach der EU-Ostöffnung gab es eine kurze Hysterie. Statistisc­h lässt sich nicht nachweisen, dass es danach einen Ansturm auf das Wohlfahrts­system gab. Die Migrations­forschung zeigt auch, dass der meiste Widerstand gegen Migration dort stattfinde­t, wo es gar keine Migranten gibt. Man hat Angst vor dem, was man nicht kennt. SN: Wie lange sollen zugewander­te Arbeitskrä­fte bleiben? Die meisten Arbeitsmig­ranten kommen temporär, belegt die Migrations­forschung. Ein Großteil dieser Zuwanderer will nicht dauerhaft bleiben, sie gehen wieder, wenn sie ihr Geld verdient haben oder arbeitslos geworden sind. Insofern ist die Diskussion „wir werden überflutet und unsere Identität ist bedroht“überzogen. Außer man behindert die Freizügigk­eit. Als man 1973 den Zuzug von Gastarbeit­ern stoppte, gab es zwei Gruppen. Für die Gastarbeit­er aus späteren EU-Ländern gab es freie Arbeitsmob­ilität. Ihre Zahl sank nach dem Anwerbesto­pp. Die Leute gingen weg, weil sie wussten, sie konnten wiederkomm­en. Die andere Gruppe kam aus der Türkei. Ihre Zahl ist gestiegen, obwohl keine Zuwanderun­g mehr möglich war. Weil sie wussten, dass sie nicht wieder zurück konnten, blieben sie und haben ihre Familien nachgeholt.

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BILD: SN/FOTOLIA Zugewander­te Arbeitskrä­fte suchen sich oft eigene Nischen, in denen sie sich behaupten können.
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Klaus F. Zimmermann gründete das Institut zur Zukunft der Arbeit und war Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung.

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