Purgertorium. Was passiert, wenn des Kanzlers Haupthaar zum Maß der Dinge wird.
Für Christian Kern hat es in letzter Zeit wenig gute Nachrichten gegeben, aber hier wäre eine: Britische Forscher haben herausgefunden, dass Wahlverlierer im Schnitt um 2,7 Jahre länger leben als die Wahlsieger, die statt ihnen an die Spitze der Regierung gelangen. Und Abgeordnete, wie Kern jetzt einer ist, sollen eine höhere Lebenserwartung aufweisen als alle anderen Bürger. (Das liegt sicher an der reichen geistigen Nahrung, die Parlamentarier beim Anhören von Budgetreden zu sich nehmen.)
Dass Oppositionschefs ein gesünderes Leben führen als Regierungsmitglieder, liegt in der Natur der Sache. Ein Kanzler oder Minister hat schließlich wahnsinnig viel zu tun: Er muss Interviews geben; er muss sein Ressort umfärben; er muss Verbote erlassen und wieder aufheben; er muss Kollegen besuchen, damit diese auch etwas zu tun haben; er muss dem Parlament häufig Rede und seltener Antwort stehen. Und er muss, wenn neben alledem noch Zeit bleibt, auch ein bissel regieren.
In früheren Zeiten kam für die Mächtigen noch eine weitere Aufgabe dazu. Sie mussten nämlich als Maßeinheit dienen. Das angelsächsische Längenmaß Fuß zum Beispiel soll auf den leibhaftigen Fuß von Karl dem Großen zurückgehen. Und wenn man berücksichtigt, dass ein Fuß ungefähr 30,5 Zentimetern entspricht, dann weiß man, dass der Kaiser tatsächlich ein Großer war: Er hatte mindestens Schuhgröße 47.
Was übrigens erklärt, warum Karl der Große in keiner fixen Residenz wohnte. Denn versuchen Sie einmal, ein Paar Schuhe in Größe 47 zu bekommen! Da müssen Sie ganz schön weit herumschauen, bis Sie fündig werden. Zu Zeiten Karl des Großen dürfte das noch viel schwieriger gewesen sein, weshalb er ständig unterwegs war, um Schuhe zu suchen. Historiker bezeichnen diese Shoppingtouren als Reisekönigtum. So kam Karl bis nach Rom. Ob die dortigen Boutiquen Schuhe in Größe 47 führten, ist allerdings fraglich. Die italienischen Modeschöpfer sind ja eher für ihre kleinen Größen bekannt.
Noch ein weiteres angelsächsisches Längenmaß geht auf ein gekröntes Haupt zurück: das Yard. Und zwar soll der englische König Heinrich I. eines Tages, als er sonst nichts zu tun hatte, auf die Idee gekommen sein, die Distanz zwischen seiner Nasenspitze und dem Ende des Daumens seiner ausgestreckten rechten Hand zu messen. Er kam dabei auf 0,9144 Meter und hielt das für eine sehr schöne Maßeinheit.
Bis heute wird daher die Länge des Spielfelds im American Football in Yards gemessen. Nun stelle man sich vor, Heinrich I. hätte vor 900 Jahren eine geringfügig kürzere Nase oder einen etwas längeren Daumen gehabt. Dann müssten die American Footballer heute noch weiter laufen. Da sieht man wieder einmal, wie alles mit allem zusammenhängt. Mittlerweile ist man davon abgekommen, die Körper der Regierenden als Maßeinheiten zu verwenden. Das hängt nicht mit den Regierungskörpern an sich zusammen (die sind mindestens so maßvoll wie früher), sondern mit der Kurzlebigkeit der Demokratie.
Nehmen wir an, in Österreich gälte das Längenmaß 1 Haar, welches sich nach dem Haupthaar des jeweiligen Bundeskanzlers richtet. Und nehmen wir weiters an, die Länge des Spielfelds im österreichischen Fußball wäre mit 750 Haar normiert. Dann hätten alle heimischen Fußballstadien beim Regierungswechsel von Werner Faymann zum kurzhaarigen Christian Kern deutlich verkleinert werden müssen.
Aber schon eineinhalb Jahre später, als Kern das Kanzleramt an den erheblich längeres Haar sein Eigen nennenden Sebastian Kurz übergab, hätten die Spielfelder wieder enorm verlängert werden müssen. – Man sieht, das geht einfach nicht. Ein Fußballstadion ist ja keine Ziehharmonika.