Medienenquete darf nicht pure ORF-Tagung sein
100 Tage neue Bundesregierung: Diese Bilanz wird seit mehr als einer Woche gezogen, obwohl sie erst kommenden Mittwoch fällig ist. Wenn die Genauigkeit derart dem Wettbewerb unterliegt, dienen Medien kaum ihrer eigenen Glaubwürdigkeit. Indes läuft seit Dienstag ein anderer Countdown: Noch sind 89 Tage Zeit, um jene Medienenquete zu verwirklichen, die das Regierungsprogramm für Frühjahr 2018 vorsieht. Die aktuellen Konflikte lassen vermuten, dass es dabei nur um den ORF geht. Doch im Koalitionspakt steht als zweiter Punkt die „Definition von medienpolitischen Leitlinien für den Medienstandort Österreich im digitalen Zeitalter“.
Das ist schwerer vermittelbar als die zu Strache kontra Wolf verkürzte Propagandaschlacht um das öffentlich-rechtliche Unternehmen. Desto fahrlässiger wirkt ein Versäumnis der erstbesten Gelegenheit zur politischen Kommunikation des komplizierten Themas. Der Skandal um Facebook und Cambridge Analytica ist ein aufgelegter Elfer für eine solche Erklärungsoffensive. Dementsprechend waren der Datenschutz digitaler Plattformen ebenso wie die Besteuerung ihrer Betreiber Themen für den soeben beendeten Gipfel der Europäischen Union. Doch sie wurden auf Mai/Juni verschoben.
Dieses für Brüssel typische Hinauszögern darf kein Vorbild sein. Im Gegenteil. Die Medienenquete muss bis Sommerbeginn die nationalen digitalen Standortbedingungen abstecken, damit Österreich seinen EU-Vorsitz in der zweiten Jahreshälfte nutzen kann, um dieses Thema voranzubringen. Gernot Blümel ist Medien- und Europaminister. Seine Fähigkeiten stehen auf dem Prüfstand. Die für ihn vorentscheidende Bilanz ist in weniger als 100 Tagen fällig.