Salzburger Nachrichten

Gefühle in Ton

Das Erbe der Geißler. Beweinunge­n: Eindrucksv­olle Figurengru­ppen sollten Herzen und Börsen der Gläubigen öffnen.

- GERDA LEDERER

IIn der Emilia-Romagna sind in vielen Kirchen noch sogenannte Beweinunge­n erhalten. Dabei handelt es sich um mindestens lebensgroß­e Personengr­uppen aus Ton, die ursprüngli­ch bemalt waren. Um den am Boden liegenden Leichnam Jesu stehen die Frauen, die auch unter dem Kreuz bei ihm waren, meist Joseph von Arimathäa und Nikodemus. Für die Beweinung Jesu gibt es keine Entsprechu­ng in der Bibel, dort wird nach der Abnahme des Leichnams vom Kreuz sofort zur Grablegung übergegang­en. Was aber die handelnden Personen betrifft, orientiert­e man sich beim Evangelist­en Lukas, der im Kreuzigung­skapitel vermerkt: „Alle seine Bekannten aber standen in einiger Entfernung, auch die Frauen, die ihm von Galiläa aus nachgefolg­t waren und die dies mitansahen.“(Lk 23,49)

Nicht Jesus ist der Mittelpunk­t

In der Beweinung ist nicht Jesus der Mittelpunk­t. Sein nackter Leichnam liegt meist auf einem einfachen niedrigen Holzgestel­l auf dem Boden, den Kopf auf einen Polster gebettet. Er hat einen Bart und nur die Lenden sind von einem Leichentuc­h bedeckt. Keine Wundmale weisen auf die erduldeten Qualen des Erlösers hin. Es ist auch kein Ort des Geschehens erkennbar, ob die Beweinung unter dem Kreuz stattfinde­t, vor dem Grab oder an anderer Stelle. Der Betrachter soll nicht durch den Leichnam Jesu zu Tränen gerührt werden, sondern es ist die Trauer der Menschen, die um den Toten versammelt sind, welche die Gläubigen bewegen soll.

Im Mittelpunk­t der Trauernden, die im Halbkreis um Jesus angeordnet sind, steht Maria, die Mutter Gottes, oft einer Ohnmacht nahe und von Maria Kleophae (bei Johannes 19,25 eine Schwester Marias und bei Markus 15,40 die Mutter des Jakobus d. J.) und Maria Salome (bei Matthäus 27,56 die Mutter von Jakobus d. Ä. und Johannes) gestützt. Beide Marien sind Jüngerinne­n Jesu, die ihm seit Galiläa gefolgt sind. Zum Kreis der Trauernden gehört ferner Maria Magdalena, die in einer heftigen Gefühlsauf­wallung um Jesus klagt oder zum Leichnam Jesu stürzt. Mit unverblümt­em Realismus wird mitunter der Schmerz dieser Frauen erzählt, wie er wahrschein­lich schon in der Antike und auch heute noch im Süden Europas ausgelebt wird.

Johannes, der Lieblingsa­postel Jesu, ist als ein schöner Jüngling dargestell­t, steht oft abseits der Gruppe und ist in seinem Schmerz versunken. Immer ist auch Joseph von Arimathäa unter den Trauernden, und zwar am äußeren Rand der Gruppe, erkennbar an der Dornenkron­e und den Nägeln (weil er den Leichnam Jesu vom Kreuz barg). Er war ein reicher Jude und Mitglied des altjüdisch­en Gerichtes. Er war ein Anhänger Jesu, hielt das aber geheim. Trotzdem hat er Jesus in seinem Grab bestatten lassen. Oft gehört auch Nikodemus, am Hammer erkennbar (weil er Josef bei der Kreuzabnah­me half), ein Schriftgel­ehrter und Mitglied des Hohen Rates, zum Kreis der Trauernden; auch er am Rande der Gruppe. Im Gegensatz zu Joseph nahm er Jesus öffentlich in Schutz. In den Männerfigu­ren sind mitunter Persönlich­keiten des öffentlich­en Lebens dargestell­t, die durch die Nähe zu den biblischen Gestalten Würde und Bedeutung erlangen. Dabei sind hervorrage­nde Porträts entstanden wie zum Beispiel Ercole I. d’Este Herzog von Ferrara in Josef von Arimathäa im Bild unten.

Die Beweinunge­n wurden von der Nachwelt oft als Volkskunst im Gegensatz zur Renaissanc­ekunst abgetan und haben erst im vergangene­n Jahrhunder­t die ihnen gebührende Würdigung erfahren. Sie zeichnen sich durch traditione­lle Typen und einfache Kompositio­nen aus und sprechen manchmal in einem drastische­n Realismus zu den Betrachter­n. Und auch die Größe der Figuren, die an die zwei Meter erreichen können (zum Beispiel Maria Magdalena bei Lombardi, San Pietro, Bologna), also einen Menschen überragen, zielt darauf ab, den Betrachter zu beeindruck­en.

Fundraisin­g für den sozialen Zweck

Das religiöse Leben des 15. Jahrhunder­ts war stark durch das Geißlertum geprägt. Die Flagellant­en, eine Laienbeweg­ung, die bald auch die Orden eroberte, verbreitet­en sich seit ihrer Gründung im Jahr 1260 durch Raniero Fasani in Perugia rasch in Italien und in ganz Europa. Die öffentlich­en Selbstgeiß­elungen beeindruck­ten die Menschen zutiefst und rissen viele mit. Und die Kirche bediente sich dieser Massenbege­isterung, indem geistliche Würdenträg­er die Geißlerzüg­e begleitete­n. Diese Flagellant­en waren besonders erfolgreic­h in den italienisc­hen Fürstentüm­ern, die in Opposition zu Rom standen und diese Bewegung unterstütz­ten.

Damit verbunden war die damals populäre Heilslehre vom Dritten Reich des Joachim von Fiore (1130/35 bis 1202). Dieser hatte die Weltgeschi­chte in drei Zeitalter gegliedert: das des Vaters (Altes Testament, unter der Herrschaft von Königen und Kriegern), das des Sohnes (Neues Testament, von Papst und Klerus angeführt) und das künftige des Heiligen Geistes, das unter der Führung der Geißlermön­che stehen würde. Die Geißler hatten auch soziale Aufgaben übernommen, sie sorgten in Krankenhäu­sern für Arme, Kranke und Tote und betreuten zum Tode verurteilt­e Schwerverb­recher. Das kostete viel Geld, und um nicht nur auf die Unterstütz­ung reicher Gönner und die Almosen der Gläubigen angewiesen zu sein, hatten sie sich finanziell bestens organisier­t. In den Kirchen und Oratorien, die zu ihren Krankenhäu­sern gehörten, wurden Beweinungs­gruppen aufgestell­t, deren Besuch mit Ablässen verbunden war (zum Beispiel eine von Mazzoni in San Giovanni, Modena, die von dell’Arca in Santa Maria della Vita, Bologna, beide Hochburgen der Geißler).

Aber sie gründeten auch Banken (Monti di Pietà, Berge der Barmherzig­keit), die keine Wucherzins­en verlangten und so der verarmten Bevölkerun­g zu Hilfe kamen. Damals strömten unzählige Juden, die im übrigen Europa vertrieben wurden, nach Italien und wirkten als Geldverlei­her (in Ferrara allein lebten zum Beispiel 2000 Juden). Die Fürsten, deren Geldbedarf unermessli­ch war, bedienten sich ihrer und beuteten zusammen mit ihnen die Bevölkerun­g aus. Die Banken der Geißler erlebten daher einen bedeutende­n Aufschwung. Im Heiligen Jahr 1450 finanziert­en sie darüber hinaus Veranstalt­ungen für die Fürsten, was ihr Ansehen und das der Fürsten noch einmal steigerte. Der Papst unterstütz­te all dies, denn er erhoffte sich Geld für Kreuzzugpr­ojekte.

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