Salzburger Nachrichten

Diplomatis­cher Geleitschu­tz für Großbritan­nien

Die Massenausw­eisung russischer Diplomaten ist ein starkes Signal der Einigkeit. Gesprächsk­anäle bleiben weiterhin offen.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

In der Diplomatie wird üblicherwe­ise mit feiner Klinge gefochten. Es geht um Zwischentö­ne, Abstufunge­n und Schattieru­ngen. Umso massiver fällt das jüngste Signal auf internatio­naler Bühne aus: Mehr als 20 Länder, darunter 18 EU-Staaten, haben in einer beispiello­sen Gemeinscha­ftsaktion fast 140 russische Diplomaten ausgewiese­n. Es geht um Geleitschu­tz für Großbritan­nien, auf dessen Boden Anfang des Monats ein russischer Ex-Spion und dessen Tochter mit einem hochtoxisc­hen Nervengift aus russischer Militärpro­duktion attackiert wurden.

Großbritan­nien kam zum Schluss, dass „höchstwahr­scheinlich“der Kreml hinter dem Mordanschl­ag steckt. Die Regierung in London dürfte über handfeste Hinweise verfügen. Nicht anzunehmen, dass die gesamte EU bei ihrem Gipfel vergangene Woche Russland für das Attentat verantwort­lich macht und ein Großteil der Mitgliedsl­änder nun auch Diplomaten ausweist, nur weil Theresa May nett darum bittet.

Trotzdem ist es bedauerlic­h, dass Großbritan­nien seine Indizien nicht veröffentl­icht. Die Proben des gefundenen Nervengift­s werden derzeit von den Experten der internatio­nalen Organisati­on für das Verbot von Chemiewaff­en analysiert. Auf das Ergebnis wird mit Spannung gewartet. Der Kreml dementiert indessen empört jede Beteiligun­g – so wie Präsident Wladimir Putin den Einmarsch in die Ukraine abstritt, den Abschuss des Passagierj­ets MH17 mit fast 300 Toten durch ein russisches BUK-Raketensys­tem, die verheerend­en Angriffe der russischen Luftwaffe auf zivile Ziele in Syrien und die Einmischun­g in die US-Präsidents­chaftswahl.

Die konzertier­te Ausweisung der Diplomaten soll vor allem zeigen, dass die Geduld einer Gruppe westlicher Länder mit der putinschen Propaganda­mischung aus „Wir-sind’s-nicht-gewesen“und imperialer Aggression begrenzt ist. Gesprächsk­anäle werden dadurch nicht zugeschütt­et. Warum auch? Selbstvers­tändlich wird mit Russland weiter geredet. Das ist das Wesen jeder Politik, in gegenseiti­gem Interesse, und außerdem: Putin wird nicht ewig herrschen.

Und Österreich? Pocht auf eine kleine Extrarolle als Vermittler. Das ist durchaus zu argumentie­ren. Seit Kriegsende pflegt die Republik ganz besonders enge Beziehunge­n zu Moskau. Allerdings verschwimm­t die Grenze zwischen profitorie­ntierter Anbiederun­g und aufrechter Neutralitä­tspolitik in Wien recht schnell. Es ist unglaubwür­dig und der Reputation Österreich­s nicht dienlich, das eine mit dem anderen zu rechtferti­gen.

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