Diplomatischer Geleitschutz für Großbritannien
Die Massenausweisung russischer Diplomaten ist ein starkes Signal der Einigkeit. Gesprächskanäle bleiben weiterhin offen.
In der Diplomatie wird üblicherweise mit feiner Klinge gefochten. Es geht um Zwischentöne, Abstufungen und Schattierungen. Umso massiver fällt das jüngste Signal auf internationaler Bühne aus: Mehr als 20 Länder, darunter 18 EU-Staaten, haben in einer beispiellosen Gemeinschaftsaktion fast 140 russische Diplomaten ausgewiesen. Es geht um Geleitschutz für Großbritannien, auf dessen Boden Anfang des Monats ein russischer Ex-Spion und dessen Tochter mit einem hochtoxischen Nervengift aus russischer Militärproduktion attackiert wurden.
Großbritannien kam zum Schluss, dass „höchstwahrscheinlich“der Kreml hinter dem Mordanschlag steckt. Die Regierung in London dürfte über handfeste Hinweise verfügen. Nicht anzunehmen, dass die gesamte EU bei ihrem Gipfel vergangene Woche Russland für das Attentat verantwortlich macht und ein Großteil der Mitgliedsländer nun auch Diplomaten ausweist, nur weil Theresa May nett darum bittet.
Trotzdem ist es bedauerlich, dass Großbritannien seine Indizien nicht veröffentlicht. Die Proben des gefundenen Nervengifts werden derzeit von den Experten der internationalen Organisation für das Verbot von Chemiewaffen analysiert. Auf das Ergebnis wird mit Spannung gewartet. Der Kreml dementiert indessen empört jede Beteiligung – so wie Präsident Wladimir Putin den Einmarsch in die Ukraine abstritt, den Abschuss des Passagierjets MH17 mit fast 300 Toten durch ein russisches BUK-Raketensystem, die verheerenden Angriffe der russischen Luftwaffe auf zivile Ziele in Syrien und die Einmischung in die US-Präsidentschaftswahl.
Die konzertierte Ausweisung der Diplomaten soll vor allem zeigen, dass die Geduld einer Gruppe westlicher Länder mit der putinschen Propagandamischung aus „Wir-sind’s-nicht-gewesen“und imperialer Aggression begrenzt ist. Gesprächskanäle werden dadurch nicht zugeschüttet. Warum auch? Selbstverständlich wird mit Russland weiter geredet. Das ist das Wesen jeder Politik, in gegenseitigem Interesse, und außerdem: Putin wird nicht ewig herrschen.
Und Österreich? Pocht auf eine kleine Extrarolle als Vermittler. Das ist durchaus zu argumentieren. Seit Kriegsende pflegt die Republik ganz besonders enge Beziehungen zu Moskau. Allerdings verschwimmt die Grenze zwischen profitorientierter Anbiederung und aufrechter Neutralitätspolitik in Wien recht schnell. Es ist unglaubwürdig und der Reputation Österreichs nicht dienlich, das eine mit dem anderen zu rechtfertigen.