Die „Generation Hogwarts“steht gegen die Bösewichte auf
Wer redet da von „wohlstandsverwahrloster Jugend“? In den USA haben Schüler dem Establishment den Kampf angesagt.
Die manchmal hitzigen Debatten darüber, was die sogenannten 68er tatsächlich an Gutem oder Schlechtem gebracht hätten, sind noch längst nicht abgeschlossen. Zwar machen manche der Diskutanten den Fehler, die Jugendbewegung am Ende der 60er-Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts auf die linke Studentenbewegung zu reduzieren, doch sind die Studenten in Westeuropa und den USA die hervorstechendste, weil lautstärkste Bevölkerungsgruppe. Sie vertrieben damals nicht nur den Muff unter den Talaren ihrer Professoren, sondern stießen viele Entwicklungen an, die unsere Demokratien tatsächlich kräftig durchlüfteten.
Derzeit ist wieder eine neue Generation drauf und dran, Bewegung in politisch verkrustete Strukturen zu bringen. Ausgerechnet die Generation der sogenannten Millennials, der zur Jahrtausendwende und danach Geborenen, denen man bisher nachsagte, sie seien verwöhnt, verweichlicht, ja „wohlstandsverwahrlost“, setzt gerade in den USA an, einer bestimmten Art von Politik das Fürchten zu lehren. Nach dem Massaker in einer Schule in Florida organisierten die Überlebenden dieses Schreckens Demonstrationen, traten in Talkshows im Fernsehen auf, stellten Sprecher der Waffenlobby NRA in Diskussionen bloß und organisierten schließlich am vergangenen Sonntag Proteste in vielen Städten der USA unter dem Titel „Marsch für unser Leben“. Allein in Washington demonstrierten rund 800.000 Schüler, Lehrer und Eltern für strengere Waffengesetze. Es hätte Donald Trump sicher geschmerzt, dass zu dieser Veranstaltung mehr Leute kamen als zu seiner Inauguration, wenn er denn in Washington gewesen wäre, statt in Florida Golf zu spielen.
Bei dieser Demonstration tauchten auf Transparenten und Schildern Zitate aus einer Buchserie auf, die die Millennials beim Er- wachsenwerden begleitet hat. Millionen von Kindern und Jugendlichen identifizierten sich mit der Romanfigur des Harry Potter, der sieben Bände lang gegen einen besonders fiesen Bösewicht namens Voldemort kämpft. Da stand zum Beispiel „Expelliarmus!“auf Plakaten, was man übersetzen könnte mit „Weg mit der Waffe!“Die NRA wird gleichgesetzt mit Voldemorts mörderischer Bande von Todessern.
Die Harry-Potter-Bücher sind bei Weitem nicht banale Jugendliteratur, sie sind eine Heldenerzählung mit moralischem Aufruf gegen Machtmissbrauch, Korruption und Rassismus. Die jungen Leute in den USA haben konkrete Forderungen an Politiker: Sie sollen die Waffengesetze verschärfen. Wenn nicht, dann werden sie abgewählt.
Das klingt ganz nach „Expelliarmus!“