Salzburger Nachrichten

Demokratie in der Türkei ist auch Sache der EU

Die Türkei weitgehend sich selbst zu überlassen, statt sie politisch einzubinde­n: Das ist der große Fehler in den Beitrittsv­erhandlung­en gewesen.

- Gerhard Höhler AUSSEN@SN.AT

Keine Einigung, kein Kompromiss, nicht einmal eine Annäherung – die Bilanz des EU-Türkei-Gipfeltref­fens im bulgarisch­en Varna ist bescheiden. Diese Bilanz überrascht nicht, denn die Konfliktpu­nkte wiegen schwer: massive Menschenre­chtsverlet­zungen in der Türkei, Missachtun­g der Meinungsfr­eiheit, Seeblockad­e vor der Küste des EU-Mitglieds Zypern, Grenzstrei­tigkeiten mit dem NATO-Verbündete­n Griechenla­nd.

Und während die europäisch­en Partner große Sorge angesichts der türkischen Militärint­ervention in Syrien äußern, startet Staatschef Erdoğan bereits seinen nächsten Feldzug, diesmal im Nordirak.

Es liegt auf der Hand, dass die Türkei unter diesen Vorzeichen nicht Mitglied der Europäisch­en Union werden kann. Doch auch einen Bruch kann niemand wollen. Die EU steckt gegenüber der Türkei in einem Dilemma, nicht erst jetzt. Sie öffnete zwar 2005 mit der Aufnahme der Beitrittsv­erhandlung­en der Türkei ihre Tür. Man brauchte das Land als Verbündete­n in der Sicherheit­spolitik, auch als Wirtschaft­spartner wurde es immer wichtiger. Doch ab 2007 ließ man die Gespräche wieder einschlafe­n – vor allem auf Betreiben der deutschen Bundeskanz­lerin Merkel und des damaligen französisc­hen Staatspräs­identen Nicolas Sarkozy. Beide wollten keine Vollmitgli­edschaft der Türkei, vor allem aus kulturelle­n Gründen.

Seither hat die EU das Land weitgehend sich selbst überlassen, statt es einzubinde­n und in die Pflicht zu nehmen. Dass man in den Beitrittsv­erhandlung­en ausgerechn­et die Verhandlun­gskapitel über Justiz, Grundrecht­e und Freiheit immer wieder vertagte, war ein schwerer Fehler.

Europa trägt daher eine Mitverantw­ortung für den Niedergang der Demokratie in der Türkei. Jetzt kommt es darauf an, wenigstens den Dialog mit Ankara aufrechtzu­erhalten, um den Einfluss auf die Entwicklun­g des Landes nicht ganz zu verlieren. Deshalb war das Treffen von Varna wichtig. Die EU braucht die Türkei in der Flüchtling­spolitik. Aber das ist kein Grund, vor Präsident Erdoğan zu kuschen. Denn auch Ankara hat Wünsche: die Visa-Freiheit und eine Vertiefung der Zollunion. Beides kann es nicht geben, solange Erdoğan den Demokratie­abbau in seinem Land fortsetzt.

Immerhin dies brachte das Treffen in Varna: Man will miteinande­r im Gespräch bleiben. Schon im Juni könnte die nächste Begegnung stattfinde­n, hieß es in Kreisen der bulgarisch­en Gastgeber.

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