Demokratie in der Türkei ist auch Sache der EU
Die Türkei weitgehend sich selbst zu überlassen, statt sie politisch einzubinden: Das ist der große Fehler in den Beitrittsverhandlungen gewesen.
Keine Einigung, kein Kompromiss, nicht einmal eine Annäherung – die Bilanz des EU-Türkei-Gipfeltreffens im bulgarischen Varna ist bescheiden. Diese Bilanz überrascht nicht, denn die Konfliktpunkte wiegen schwer: massive Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, Missachtung der Meinungsfreiheit, Seeblockade vor der Küste des EU-Mitglieds Zypern, Grenzstreitigkeiten mit dem NATO-Verbündeten Griechenland.
Und während die europäischen Partner große Sorge angesichts der türkischen Militärintervention in Syrien äußern, startet Staatschef Erdoğan bereits seinen nächsten Feldzug, diesmal im Nordirak.
Es liegt auf der Hand, dass die Türkei unter diesen Vorzeichen nicht Mitglied der Europäischen Union werden kann. Doch auch einen Bruch kann niemand wollen. Die EU steckt gegenüber der Türkei in einem Dilemma, nicht erst jetzt. Sie öffnete zwar 2005 mit der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen der Türkei ihre Tür. Man brauchte das Land als Verbündeten in der Sicherheitspolitik, auch als Wirtschaftspartner wurde es immer wichtiger. Doch ab 2007 ließ man die Gespräche wieder einschlafen – vor allem auf Betreiben der deutschen Bundeskanzlerin Merkel und des damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Beide wollten keine Vollmitgliedschaft der Türkei, vor allem aus kulturellen Gründen.
Seither hat die EU das Land weitgehend sich selbst überlassen, statt es einzubinden und in die Pflicht zu nehmen. Dass man in den Beitrittsverhandlungen ausgerechnet die Verhandlungskapitel über Justiz, Grundrechte und Freiheit immer wieder vertagte, war ein schwerer Fehler.
Europa trägt daher eine Mitverantwortung für den Niedergang der Demokratie in der Türkei. Jetzt kommt es darauf an, wenigstens den Dialog mit Ankara aufrechtzuerhalten, um den Einfluss auf die Entwicklung des Landes nicht ganz zu verlieren. Deshalb war das Treffen von Varna wichtig. Die EU braucht die Türkei in der Flüchtlingspolitik. Aber das ist kein Grund, vor Präsident Erdoğan zu kuschen. Denn auch Ankara hat Wünsche: die Visa-Freiheit und eine Vertiefung der Zollunion. Beides kann es nicht geben, solange Erdoğan den Demokratieabbau in seinem Land fortsetzt.
Immerhin dies brachte das Treffen in Varna: Man will miteinander im Gespräch bleiben. Schon im Juni könnte die nächste Begegnung stattfinden, hieß es in Kreisen der bulgarischen Gastgeber.