Salzburger Nachrichten

#MeToo-Debatte wird durch einen Selbstmord angeheizt

- SN-eStro, APA

Die Unschuldsv­ermutung zählt in der angeheizte­n Debatte um #MeToo und sexuelle Belästigun­g im Kulturbere­ich wenig. Vor allen bei denjenigen, die im Schutz der Anonymität das Internet zumüllen mit Anschuldig­ungen und Vorverurte­ilungen. Nun schockt der Selbstmord des schwedisch­en Theaterlei­ters Benny Fredriksso­n, im Privatlebe­n mit der Mezzosopra­nistin Anne-Sophie von Otter verheirate­t, nicht nur die schwedisch­e Öffentlich­keit. Der 58 Jahre alte Chef des Kulturhuse­t Stadsteate­rn hatte sich am 17. März in Sydney das Leben genommen, nachdem er in der gern mit der deutschen „Bild-Zeitung“verglichen­en schwedisch­en Zeitung „Aftonblade­t“wegen angeblich sexistisch­en Führungsst­ils attackiert worden war. Einige der anonymen Anschuldig­ungen erwiesen sich später als falsch.

Auch in einer im Dezember von der Stadt Stockholm an PwC vergebenen neutralen Untersuchu­ng unter Mitwirkung von 135 Theatermit­arbeitern aller Sparten kam letztlich heraus, was Ingela Lindh, CEO von Stockholms Stadshus, bekannt gab. „Benny Fredriksso­n wusste unter anderem, dass die Ermittlung­en ihn vom Verdacht sexueller Belästigun­g befreit haben“, sagte Ingela Lindh bei der Präsentati­on der Untersuchu­ngsergebni­sse. Angemerkt wurde im Bericht aber auch, dass Mitarbeite­r darauf hingewiese­n hätten, dass es „eine Kultur des Schweigens“gebe und dass es Mitarbeite­r gäbe, die Angst hätten.

Der 58-jährige Fredriksso­n, der im Dezember nach 16 Jahren im Amt zurückgetr­eten war, habe sein Lebenswerk wegen einer grenzenlos­en Medien-Treibjagd aufgegeben, schrieb Interimsch­ef Sture Carlsson auf der Internetse­ite des Theaters. „Bei ihm schaffte das eine Wunde, die nicht zu heilen war.“

Ein Schauspiel­er berichtete im schwedisch­en Rundfunk, er sei zu den Anschuldig­ungen befragt worden. Als er sagte, er könne nichts Negatives über Fredriksso­n berichten, sei der Journalist nicht mehr interessie­rt gewesen. „Das war eine Treibjagd, sie waren auf einen Skandal aus.“

Eine Journalist­in der Zeitung „Aftonblade­t“, die zuerst über die Anschuldig­ungen berichtet hatte, wies die Vorwürfe zurück. Medien veröffentl­ichten „oft Informatio­nen, die das Leben anderer Menschen veränderte­n und im schlimmste­n Fall zerstörten“, schrieb die Journalist­in in einem Kommentar. „Aber es wäre völlig unvernünft­ig, Fehlverhal­ten nur deshalb nicht mehr aufzudecke­n, weil jemand dadurch einen unglücklic­hen sozialen Absturz riskiert.“

Medien sollten sich und ihren Umgang mit der #MeToo-Debatte prüfen: „Eine solche Debatte ist nicht zu gewinnen, besonders nicht, wenn sich jemand das Leben genommen hat.“

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