Salzburger Nachrichten

Das Verbindend­e über das Trennende stellen

Die Spaltung der Gesellscha­ft nach der Bundespräs­identenwah­l ist noch nicht überwunden. Im Gegenteil.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Spätestens seit der komplizier­ten Wahl des Bundespräs­identen (April bis Dezember 2016) ist von einer Spaltung der österreich­ischen Gesellscha­ft die Rede. Das Land habe sich in zwei Lager geteilt, urteilen Soziologen und Politikwis­senschafte­r, das linksliber­ale des Alexander Van der Bellen, das rechtskons­ervative des Norbert Hofer. Sie sprechen in diesem Zusammenha­ng auch von Arm gegen Reich, von oben gegen unten oder von vorn gegen hinten.

Gemeint ist immer dasselbe: Es kämpfen diejenigen, denen es besser geht, gegen diejenigen, denen es weniger gut geht. Oder noch präziser: Diejenigen, die das Gefühl haben, dass es das Leben gut mit ihnen meint, sind mit denjenigen übers Kreuz, die davon überzeugt sind, dass sie vom Zug zum Glück abgehängt worden sind.

Die Nationalra­tswahl hat diese Kluft nicht zugeschütt­et, sondern verbreiter­t. Dabei tut die Regierung Kurz-Strache das, was sie vor der Wahl angekündig­t hat: das Land nach rechtskons­ervativen Kriterien neu ausrichten. Die Aufregung darüber ist groß und überrascht. Offenbar ist es bei uns nicht üblich, dass Politiker nach der Wahl umsetzen, was sie vorher sagen. In der rot-schwarzen Vergangenh­eit ist nichts so heiß gegessen worden, wie es gekocht worden war. Und spätestens in den Mühlen der Sozialpart­nerschaft sind dann alle Ecken und Kanten abgeschlif­fen worden. Das gilt nicht mehr.

Die anderen Parteien und Teile der Zivilgesel­lschaft suchen nach wie vor ihre Rolle zwischen Opposition und Widerstand. Der Protest gegen die Regierung hat sich von der Straße in die Leserbrief­spalten der Zeitungen und auf Social-Media-Plattforme­n verlagert. Dort stehen die Lager einander unversöhnl­icher denn je gegenüber. Die Sprache ist hart geworden. Manchmal blitzt sogar Hetzerisch­es auf. Das Trennende steht über dem Verbindend­en.

Regierung und Opposition arbeiten derzeit nach dem Prinzip: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Das mag für die Unterschei­dbarkeit der politische­n Ideen hilfreich sein, für das Zusammenle­ben der Gesellscha­ft ist es das nicht. Österreich braucht bei aller Unterschie­dlichkeit der Ansichten auch verbindend­e Projekte, die von möglichst allen getragen werden. Die bevorstehe­nde EU-Präsidents­chaft ist eines davon. Die Neutralitä­t ein anderes. In einer Zeit des aufkeimend­en Kalten Krieges ist die unabhängig­e Rolle Österreich­s gefragter denn je. Dazu braucht es Geschlosse­nheit. Die ist nur erreichbar, wenn das Verbindend­e über dem Trennenden steht.

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