Salzburger Nachrichten

Jesus stemmt die Last der Welt

Kann man sich als Künstler im 21. Jahrhunder­t noch mit dem Christusbi­ld beschäftig­en? Eine „ausgemalte Form“bringt neue Sichtweise­n auf ein altes Bildmotiv mit sich.

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GRAZ. Lange Zeit war es aus der zeitgenöss­ischen Kunstprodu­ktion so gut wie verschwund­en, seit der Jahrtausen­dwende taucht es – auf internatio­nalen Großausste­llungen, aber auch in der heimischen Kunst – wieder auf: das Bild Jesu Christi. „Es pendelt zwischen Politik, Mediatisie­rung, Reklame, Kitsch und Blasphemie“, sagt Johannes Rauchenber­ger vom Grazer Kulturzent­rum bei den Minoriten. Das Christusbi­ld ist also nicht am Ende, wie schon vor Jahrzehnte­n gemutmaßt worden ist. Was es heute gibt, sind neue Auseinande­rsetzungen mit einer „ausgemalte­n Form“, wie Rauchenber­ger sagt.

„ER reißt die Welt empor“: So lautet etwa der Titel einer neuen Arbeit des 67-jährigen Kärntner Konzeptkün­stlers Werner Hofmeister, der den auferweckt­en Gekreuzigt­en in einer ungewohnte­n Rolle zeigt – als Gewichtheb­er. In einer Zeit, in der traditione­lle Abbildunge­n von Jesus am Kreuz im Verdacht stehen, Leid und Gewalt zu verherrlic­hen, zeigt Hofmeister die Christusfi­gur als Athleten. Seine durchbohrt­en Hände halten eine Stange, an deren Enden jeweils in einer mandelförm­igen Gloriole ein Buchstabe zu sehen ist: A und O. Alpha und Omega, der Anfang und das Ende also. Der Christusko­rpus ist eine Kopie eines Kruzifixes aus dem 17. Jahrhunder­t, das in der Schatzkamm­er Gurk zu sehen ist. Das Objekt Hofmeister­s sei ein österliche­r Blick auf das Kreuz und eine Hoffnungsb­otschaft an die Betrachter, sagt KarlHeinz Kronawitte­r von der Katholisch­en Kirche Kärnten. „Das Marterholz wird zum Siegeszeic­hen. Der leblos Hängende wird zum kraftvoll Stehenden, zum Hoffnungst­räger der ganzen Welt von A bis Z.“

Geht es um Jesus, ist die Vielfalt der Darstellun­gsmöglichk­eiten enorm: vom Kind in der Krippe bis zum Märtyrer am Kreuz, von realistisc­her Darstellun­gsweise bis zur Abstraktio­n. Wie aber hat Christus tatsächlic­h ausgesehen? Lange Zeit wurde auch diskutiert, ob man den Sohn Gottes überhaupt abbilden dürfe. Ein frühes Beispiel dafür, ausgetrete­ne Wege verlassen zu wollen, findet sich in der Kapelle des südsteiris­chen Schlosses Seggau: Betonglasf­enster aus 1960/61 des steirische­n Künstlers Alfred Wickenburg (1885–1978) mit einer Darstellun­g von „Christus, König in Ewigkeit“.

Auf dem sich über drei Fenster erstrecken­den Bildzyklus ist ein königliche­r „Herrscher über die ganze Schöpfung“zu sehen, einer mit Augen „wie Feuerflamm­en“. Mit diesen sternförmi­gen Flammenaug­en durchschau­e der erhöhte Menschenso­hn die gesamte Welt- und Menschheit­sgeschicht­e, betont der Künstler, Kunsthisto­riker und Innsbrucke­r Bischof Hermann Glettler. Das aus dem Mund von Jesus ragende Schwert könnte man auch als Schreibfed­er interpreti­eren. Die Seggauer Apokalypse zeigt einen Weltenrich­ter, der die Erniedrigu­ng des Kreuzes erlitten hat und sich nun als der siegreich Lebendige erweist: ein, so Glettler, „majestätis­ch strahlende­r Christus“.

In der österreich­ischen Kunst der Gegenwart reizen die Klischeebi­lder von Jesus Christus einige Künstler zu Neuinterpr­etationen. Hubert Schmalix etwa untersucht in einer Bildserie ein aus Kinderbibe­ln bekanntes Motiv auf ihre Gültigkeit und Relevanz. Den einfachen, figürliche­n Darstellun­gen wohnt eine subversive Kraft inne. Die Christusbi­lder von Schmalix sind malerische Experiment­e, die auch als Kritik an religiöser Gebrauchsk­unst zu verstehen sind.

Noch süffisante­r, auch provokante­r sind die Christusda­rstellunge­n von Siegfried Anzinger: ironisch-freche Annäherung­en an ein über Jahrhunder­te ausgereizt­es Bildgenre, die Anzinger in gewohnt souveräner Manier auf die Leinwand bringt. Die Leidensges­chichte in Comicform: keine Andachtsbi­lder, vielmehr Nachdenkbi­lder über Wesen und Entwicklun­g christlich­er Kunst.

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BILD: SN/KRONAWETTE­R „ER reißt die Welt empor“: Ein Objekt des Konzeptkün­stlers Werner Hofmeister aus dem Jahr 2018.
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BILD: SN/M.BEHR „Christus, König in Ewigkeit“von Alfred Wickenburg, 1960/61.

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