Ratschen ersetzen die Glocken
Ein alter Brauch kommt allmählich wieder in Mode. Daran hat auch ein Oststeirer seinen Anteil. Mit viel Liebe und Akribie fertigt er seit rund 15 Jahren hölzerne Lärminstrumente.
„Der Mensch braucht Qualitätsarbeit. Ich liebe den Umgang mit Holz.“Franz Ederer, Ratschenbauer
In seiner über 60 Jahre alten Werkstatt riecht es intensiv nach Holz. Hier wird gehobelt, gedrechselt, gebohrt, geschliffen und noch einiges mehr. „Der Mensch braucht Qualitätsarbeit. Ich liebe den Umgang mit Holz“, sagt der groß gewachsene, 71-jährige Steirer Franz Ederer, der in St. Kathrein am Offenegg seiner Lieblingstätigkeit nachgeht: dem Ratschenbauen. Jetzt in der Karwoche sind seine Erzeugnisse österreichweit und darüber hinaus zu hören. „Seit einigen Jahren wird das Brauchtum des Ratschens wiederentdeckt. Ich will nicht unbescheiden sein, aber ich habe zumindest einen kleinen Anteil daran“, sagt Ederer.
Auf einem Holztisch in seiner Werkstatt liegen sie – die gebräuchlichsten Ratschenformen: die allseits bekannte Flügelratsche, die Rahmenratsche, die Kastenratsche, die Klapper (vulgo Hammerratsche), die Brettratsche, die bei Kindern besonders beliebte Schubkarrenratsche und die eher ungewöhnliche Fahnenratsche. Freilich: Insgesamt wird es wohl zirka 30 unterschiedlichste Ratschen geben, und Franz Ederer kennt sie alle. Der gelernte Wagner und Tischler arbeitete 15 Jahre lang in Stuttgart, ehe er wieder zurück in seinen Heimatort St. Kathrein am Offenegg kam.
Eine Krankheit zwang ihn in eine Invaliditätspension, das Arbeiten mit Holz hat er aber nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Franz Ederer ist heute einer der letzten Ratschenbauer im Alpenraum, einer, der auch über zahlreiche Kurse und Schulungen versucht, den Nachwuchs für dieses Handwerk zu gewinnen. „Wer einmal mit einer Ratsche von mir unterwegs war, greift nie wieder billige Ostblockware an“, sagt der Steirer, dessen Lebenswerk auch in der eben erschienenen Publikation „Das große Buch vom Handwerk – Fast vergessen, neu entdeckt“(Servus Verlag) gewürdigt wird. Im Buch wird auch der Brauch des Ratschengehens erläutert.
Meist vom Gründonnerstagabend bis zum Karsamstagabend zogen die „Ratschenbuben“durch die Dörfer und ersetzten mit ihren lauten Geräuschen das Geläute der Glocken, die der Legende nach ja nach Rom geflogen sind. Wurde früher drei Mal am Tag geratscht, werden die Lärminstrumente heutzutage meist nur noch ein Mal am Tag eingesetzt.
Seit 2003 ist Franz Ederer um den Weiterbestand der alten Tradition bemüht. Der Lärmbrauch, also das „Ratschen in der Karwoche“, ist seit 2015 auch Teil der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes. Bei den Ratschenumzügen werden von den Teilnehmern meist Sprüche aufgesagt: „Wir ratschen, wir ratschen den englischen Gruaß, den jeder katholische Christ beten muaß“etwa. Oder: „Fallts nieder, fallts nieder auf enkere Knie, und bets a Vaterunser und drei Ave-Marie!“
Nach dem Ratschen werden die Kinder beim sogenannten Absammeln mit Geld, Süßigkeiten oder Ostereiern belohnt. Seine Ratschenbaukurse bringen Franz Ederer in alle Teile der Steiermark, aber auch ins Burgenland, nach Niederösterreich und Wien. Häufig in Schulen, aber auch an öffentliche Orte wie etwa heute, am Karfreitag, auf den Grazer Hauptplatz. „Die Mädchen sind bei der Fertigung geschickter, die Buben wiederum haben mehr Spaß am Lärmmachen“, sagt er, der von allen „der Ratschenbauer“genannt wird. Ist eine Ratsche fertig, wird in sie noch der Name des Besitzers eingebrannt. „Wenn ich Holztattoo sage, lachen die Kinder immer“, berichtet Ederer.
Welches Holz er für seine Ratschen verwendet? „Esche ist ein schönes und sehr gut geeignetes Holz“, berichtet der 71-Jährige, der bisweilen auch zu anderen Harthöl- zern, etwa Buche, greift. Nicht wenige seiner Produkte gehen auch ins Ausland: „Es gibt ja keine Leute mehr, die das machen.“Der Sohn eines Wagners hat schachtelweise die Einzelteile von Ratschen produziert: Längsleisten, Riffelwalzen, Griffe und die Zungen, die dann am Rahmen befestigt werden.
Mit der Position der Zunge und Schrauben kann man den Klang und die Lautstärke einer Ratsche variabel gestalten. Was der Ratschenbauer sonst noch fertigt? Holzspielzeug wie Hollerbüchsen oder Ritsch-Ratsch, Haus- und Hofkreuze, Russische Kegelbahnen und Kreationen aus Hobelspänen.