„Es braucht viele Hände, damit ein Mensch zu Hause sterben kann“
Viele Menschen möchten ihren letzten Lebensabschnitt zu Hause verbringen. Das ist derzeit allerdings nur bei jedem vierten möglich. Wie weit können Palliativmedizin und Hospizarbeit dabei eine Hilfe sein?
Über die Grenzerfahrungen im Umgang mit Trauer, Angst, Sterben und Tod sprachen die SN mit der Ärztin und Obfrau der Hospizbewegung Salzburg, Maria Haidinger. SN: Was ist generell notwendig, damit Menschen zu Hause sterben können? Haidinger: Als Erstes ist mir wichtig, dass wir den Druck von den Familien wegnehmen. Viele Menschen möchten zu Hause sterben. Aber man muss in jedem einzelnen Fall genau hinschauen, wer sich die Betreuung eines Angehörigen bis zum letzten Atemzug zutrauen kann. Familienangehörige dürfen emotional und mit der Betreuung nicht völlig überfordert werden. SN: Der Wunsch ist ernst zu nehmen, er darf aber nicht zur moralischen Keule werden? Ja, das möchte ich absolut unterstreichen. Denn häufig ist auch die Einstellung unter den Familienmitgliedern sehr unterschiedlich bis gegensätzlich. Es kann sein, dass Kinder kommen und sagen, die Mutter würde dringend nach Hause gehören. Sie bedenken aber nicht, dass der Ehegatte damit vielleicht völlig überfordert ist, weil er mit dem Abschiednehmen von seiner Frau an sich schon überfordert ist. SN: Wann sagen Sie Angehörigen, sie könnten sich das zutrauen, und wann raten Sie eher davon ab? Entscheidend ist, wer verfügbar ist, wer das in der Familie tragen kann. Man muss in einem ausführlichen Erstgespräch genau hinhören, was Angehörige brauchen, um sich diese Aufgabe zuzutrauen, und man muss sie genau darauf vorbereiten, was sie unter Umständen mit einem sterbenden Menschen aushalten müssen. Der Umgang mit Trauer, Angst, Sterben, Tod, Verlust ist eine absolute Grenzerfahrung. Wenn es dann auch noch die eigenen Liebsten betrifft, muss man das durchleben können und wollen. SN: Welche Hilfestellungen sind unerlässlich und welche sind überhaupt möglich? Das eine ist das, woraus sich die Hospizbewegung entwickelt hat: ehrenamtliche Begleiterinnen und Begleiter, die eine große Stütze für Patienten und Angehörige sind.
Das Zweite ist die professionelle medizinisch-pflegerische Betreuung, damit der Sterbende sich durch palliativmedizinisch ausgebildete Ärztinnen und Ärzte geborgen und sicher fühlen kann. Grundlegend ist dabei eine ausreichende Schmerztherapie. Das leisten die mobilen Palliativteams der Caritas in enger Vernetzung mit den ehrenamtlichen Hospizteams.
Es ist für Angehörige unerlässlich, dass jemand erreichbar ist. Dafür braucht es ein dichtes Netzwerk, das ineinandergreift. Dazu gehören unser Tageshospiz, die regionalen Palliativteams der Caritas, aber genauso die Hauskrankenpflege und die Hausärztin bzw. der Hausarzt. SN: Das funktioniert offenbar tagsüber gut. In der Nacht scheint es schwieriger zu sein. In der Nacht kommen bei den Patienten wie bei den Angehörigen viele Ängste dazu. Aber man kann schon am Tag sehr viel vorarbeiten. Man kann sehr viel Druck von den Angehörigen nehmen, wenn man das, was in der Nacht passieren könnte, vorher ausführlich bespricht. Dafür ist ein großes Maß an verfügbarer Zeit erforderlich.
Die telefonische „Rund um die Uhr“-Erreichbarkeit, die wir eine Zeit lang leisten konnten, wäre eine große Hilfe. Sie hat aber unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter völlig überfordert. Für einen solchen 24-Stunden-Dienst müssten wir einen viel größeren Pool von ärztlichen und pflegerischen Kräften zur Verfügung haben. SN: Würde die Hospizbewegung mehr Personal benötigen? Wir haben das große Glück, dass wir im Tageshospiz Salzburg die ärztliche Leiterin Irmgard Singh als großen Stabilitätsfaktor haben. Dazu haben wir zwei weitere Ärztinnen und fünf Mitarbeiterinnen in der Palliativpflege. Aber in den regionalen Palliativteams der Caritas, die ganz ausgezeichnet mit unserem Tageshospiz zusammenarbeiten, gibt es noch Bedarf. Das betrifft besonders die Stadt Salzburg und den Flachgau. Für dieses große Versorgungsgebiet steht derzeit nur ein Team zur Verfügung. Dafür muss die öffentliche Hand den finanziellen Rahmen schaffen, wofür es auch grundsätzliche Zusagen gibt. Es ist aber nicht nur eine Frage der Finanzen, sondern es fehlen uns zunehmend die Menschen dafür. Die Ärztinnen und Ärzte, die derzeit im Palliativbereich tätig sind, werden älter und gehen oft an ihre Grenzen. Es kommen aber keine jungen Palliativmedizinerinnen und -mediziner nach. Ich verstehe auch, dass junge Ärztinnen und Ärzte sich die Arbeit in einem regionalen, mobilen Hospizteam nicht ohne Weiteres zutrauen, weil man in schwierige familiäre Situationen hineingeraten kann und allein weitreichende Entscheidungen treffen muss. Es ist daher eine dringende Aufgabe, den jungen Kolleginnen und Kollegen eine sehr solide Ausbildung sowohl in der Gesprächsführung wie in der Schmerztherapie anzubieten. Nur durch eine sehr gute Vorbereitung können junge Ärztinnen und Ärzte die erforderliche Sicherheit gewinnen. SN: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Hausärztinnen und Hausärzten? Die hat sich sehr gut entwickelt. Ohne Netzwerk mit der Hauskrankenpflege und mit den Hausärztinnen und Hausärzten wäre die Betreuung mit den schmalen finanziellen und personellen Ressourcen, die wir haben, nicht zu machen. SN: Ein Zukunftsprojekt ist das Tageshospiz in Leogang. Wir stehen mitten in den Gutachtenverfahren und hoffen, dass wir bis zum Sommer alles beibringen können, was für die Bewilligung verlangt wird. Das Tageshospiz in Leogang soll wie unser Tageshospiz in Salzburg als Sonderkrankenanstalt für alle Betroffenen kostenfrei zugänglich sein. Finanziell steht durch eine Stiftung alles offen. SN: Wie wird sich die Zahl der zu Betreuenden entwickeln? Wir sind damit konfrontiert, dass die Krebserkrankungen zunehmen, besonders im höheren Alter. Es geht dann um ältere Menschen, die oft ohnehin schon eine Betreuung benötigen und dann zusätzlich an einem bösartigen Tumor erkranken. Dazu kommt der steigende Bedarf an Palliativmedizin für Alzheimerund Demenzpatienten. Viele von ihnen haben große Schmerzen, können es aber nicht sagen. Schmerztherapie und Palliativmedizin sind daher ein vorrangiges medizinisches Zukunftsthema.