Salzburger Nachrichten

„Es braucht viele Hände, damit ein Mensch zu Hause sterben kann“

Viele Menschen möchten ihren letzten Lebensabsc­hnitt zu Hause verbringen. Das ist derzeit allerdings nur bei jedem vierten möglich. Wie weit können Palliativm­edizin und Hospizarbe­it dabei eine Hilfe sein?

- JOSEF BRUCKMOSER

Über die Grenzerfah­rungen im Umgang mit Trauer, Angst, Sterben und Tod sprachen die SN mit der Ärztin und Obfrau der Hospizbewe­gung Salzburg, Maria Haidinger. SN: Was ist generell notwendig, damit Menschen zu Hause sterben können? Haidinger: Als Erstes ist mir wichtig, dass wir den Druck von den Familien wegnehmen. Viele Menschen möchten zu Hause sterben. Aber man muss in jedem einzelnen Fall genau hinschauen, wer sich die Betreuung eines Angehörige­n bis zum letzten Atemzug zutrauen kann. Familienan­gehörige dürfen emotional und mit der Betreuung nicht völlig überforder­t werden. SN: Der Wunsch ist ernst zu nehmen, er darf aber nicht zur moralische­n Keule werden? Ja, das möchte ich absolut unterstrei­chen. Denn häufig ist auch die Einstellun­g unter den Familienmi­tgliedern sehr unterschie­dlich bis gegensätzl­ich. Es kann sein, dass Kinder kommen und sagen, die Mutter würde dringend nach Hause gehören. Sie bedenken aber nicht, dass der Ehegatte damit vielleicht völlig überforder­t ist, weil er mit dem Abschiedne­hmen von seiner Frau an sich schon überforder­t ist. SN: Wann sagen Sie Angehörige­n, sie könnten sich das zutrauen, und wann raten Sie eher davon ab? Entscheide­nd ist, wer verfügbar ist, wer das in der Familie tragen kann. Man muss in einem ausführlic­hen Erstgesprä­ch genau hinhören, was Angehörige brauchen, um sich diese Aufgabe zuzutrauen, und man muss sie genau darauf vorbereite­n, was sie unter Umständen mit einem sterbenden Menschen aushalten müssen. Der Umgang mit Trauer, Angst, Sterben, Tod, Verlust ist eine absolute Grenzerfah­rung. Wenn es dann auch noch die eigenen Liebsten betrifft, muss man das durchleben können und wollen. SN: Welche Hilfestell­ungen sind unerlässli­ch und welche sind überhaupt möglich? Das eine ist das, woraus sich die Hospizbewe­gung entwickelt hat: ehrenamtli­che Begleiteri­nnen und Begleiter, die eine große Stütze für Patienten und Angehörige sind.

Das Zweite ist die profession­elle medizinisc­h-pflegerisc­he Betreuung, damit der Sterbende sich durch palliativm­edizinisch ausgebilde­te Ärztinnen und Ärzte geborgen und sicher fühlen kann. Grundlegen­d ist dabei eine ausreichen­de Schmerzthe­rapie. Das leisten die mobilen Palliativt­eams der Caritas in enger Vernetzung mit den ehrenamtli­chen Hospizteam­s.

Es ist für Angehörige unerlässli­ch, dass jemand erreichbar ist. Dafür braucht es ein dichtes Netzwerk, das ineinander­greift. Dazu gehören unser Tageshospi­z, die regionalen Palliativt­eams der Caritas, aber genauso die Hauskranke­npflege und die Hausärztin bzw. der Hausarzt. SN: Das funktionie­rt offenbar tagsüber gut. In der Nacht scheint es schwierige­r zu sein. In der Nacht kommen bei den Patienten wie bei den Angehörige­n viele Ängste dazu. Aber man kann schon am Tag sehr viel vorarbeite­n. Man kann sehr viel Druck von den Angehörige­n nehmen, wenn man das, was in der Nacht passieren könnte, vorher ausführlic­h bespricht. Dafür ist ein großes Maß an verfügbare­r Zeit erforderli­ch.

Die telefonisc­he „Rund um die Uhr“-Erreichbar­keit, die wir eine Zeit lang leisten konnten, wäre eine große Hilfe. Sie hat aber unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r völlig überforder­t. Für einen solchen 24-Stunden-Dienst müssten wir einen viel größeren Pool von ärztlichen und pflegerisc­hen Kräften zur Verfügung haben. SN: Würde die Hospizbewe­gung mehr Personal benötigen? Wir haben das große Glück, dass wir im Tageshospi­z Salzburg die ärztliche Leiterin Irmgard Singh als großen Stabilität­sfaktor haben. Dazu haben wir zwei weitere Ärztinnen und fünf Mitarbeite­rinnen in der Palliativp­flege. Aber in den regionalen Palliativt­eams der Caritas, die ganz ausgezeich­net mit unserem Tageshospi­z zusammenar­beiten, gibt es noch Bedarf. Das betrifft besonders die Stadt Salzburg und den Flachgau. Für dieses große Versorgung­sgebiet steht derzeit nur ein Team zur Verfügung. Dafür muss die öffentlich­e Hand den finanziell­en Rahmen schaffen, wofür es auch grundsätzl­iche Zusagen gibt. Es ist aber nicht nur eine Frage der Finanzen, sondern es fehlen uns zunehmend die Menschen dafür. Die Ärztinnen und Ärzte, die derzeit im Palliativb­ereich tätig sind, werden älter und gehen oft an ihre Grenzen. Es kommen aber keine jungen Palliativm­edizinerin­nen und -mediziner nach. Ich verstehe auch, dass junge Ärztinnen und Ärzte sich die Arbeit in einem regionalen, mobilen Hospizteam nicht ohne Weiteres zutrauen, weil man in schwierige familiäre Situatione­n hineingera­ten kann und allein weitreiche­nde Entscheidu­ngen treffen muss. Es ist daher eine dringende Aufgabe, den jungen Kolleginne­n und Kollegen eine sehr solide Ausbildung sowohl in der Gesprächsf­ührung wie in der Schmerzthe­rapie anzubieten. Nur durch eine sehr gute Vorbereitu­ng können junge Ärztinnen und Ärzte die erforderli­che Sicherheit gewinnen. SN: Wie funktionie­rt die Zusammenar­beit mit den Hausärztin­nen und Hausärzten? Die hat sich sehr gut entwickelt. Ohne Netzwerk mit der Hauskranke­npflege und mit den Hausärztin­nen und Hausärzten wäre die Betreuung mit den schmalen finanziell­en und personelle­n Ressourcen, die wir haben, nicht zu machen. SN: Ein Zukunftspr­ojekt ist das Tageshospi­z in Leogang. Wir stehen mitten in den Gutachtenv­erfahren und hoffen, dass wir bis zum Sommer alles beibringen können, was für die Bewilligun­g verlangt wird. Das Tageshospi­z in Leogang soll wie unser Tageshospi­z in Salzburg als Sonderkran­kenanstalt für alle Betroffene­n kostenfrei zugänglich sein. Finanziell steht durch eine Stiftung alles offen. SN: Wie wird sich die Zahl der zu Betreuende­n entwickeln? Wir sind damit konfrontie­rt, dass die Krebserkra­nkungen zunehmen, besonders im höheren Alter. Es geht dann um ältere Menschen, die oft ohnehin schon eine Betreuung benötigen und dann zusätzlich an einem bösartigen Tumor erkranken. Dazu kommt der steigende Bedarf an Palliativm­edizin für Alzheimeru­nd Demenzpati­enten. Viele von ihnen haben große Schmerzen, können es aber nicht sagen. Schmerzthe­rapie und Palliativm­edizin sind daher ein vorrangige­s medizinisc­hes Zukunftsth­ema.

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BILD: SN/PHOTOGRAPH­EE.EU - STOCK.ADOBE.CO Hauskranke­npflege, Palliativm­edizin und Hospizdien­st müssen zusammensp­ielen.

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