Salzburger Nachrichten

Was die Koalition mit einem Kriegsschi­ff zu tun hat

Eine 100-Tage-Bilanz, aus Waterloo-Gründen erst verspätet gezogen.

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGER

Im verständli­chen Drang, immer und überall Erster zu sein, haben Journalist­en, Politiker und Experten schon ab dem Tag 85 begonnen, eine Bilanz über die ersten 100 Tage der neuen Regierung zu ziehen. Solche frühzeitig­en Beurteilun­gen können freilich ihre Tücken haben. Die berühmten 100 Tage, die Napoleon Bonaparte nach seiner Flucht aus Elba beschieden waren, ließen sich bekanntlic­h überaus triumphal an. Dann kam Waterloo.

Vorsichtsh­alber wird an dieser Stelle daher erst heute, am Tag 106, eine 100-Tage-Bilanz der neuen Koalition versucht. Sie lautet: Waterloo gab es bislang keines. Nicht einmal eine Schlacht. Denn die auffälligs­te Eigenschaf­t von ÖVP und FPÖ ist, dass sie – zumindest auf offener Bühne – nicht streiten. Sondern dass sie Kompromiss­e schließen bzw. „leben“, wie der Vizekanzle­r gern formuliert.

Der politische Kompromiss ist in den vergangene­n Jahren stark in Verruf geraten, da die vormaligen Regierungs­parteien ihn immer auf Kosten eines Dritten, nämlich des Budgets, schlossen. In Wahrheit ist der Kompromiss eine lobenswert­e heimische Polit-Spezialitä­t, die noch aus der Monarchie herrührt, deren oberste Maxime es war, alle ihre Völker in einem Zustand wohltemper­ierter Unzufriede­nheit zu halten. (Was passierte, als die Völker auf das Ziel der vollen Zufriedenh­eit losmarschi­erten, erlebte man dann später.)

Einer der damaligen Kompromiss­e hing mit einem Kriegsschi­ff zusammen, das knapp vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurde und den Stolz der österreich­isch-ungarische­n Marine darstellen sollte. Über den Namen des Schiffes gingen die Meinungen aber auseinande­r. Die Wiener Behörden schlugen einen österreich­ischen Namen vor, woraufhin die ungarische Reichshälf­te wie ein Mann aufstand und auf einen ungarische­n Namen pochte. Der Streit wogte hin und her, bis Kaiser Franz Joseph ent- schied: Das Schiff wird einen ungarische­n Namen tragen. Die Ungarn jubelten.

Als sie sich erkundigte­n, welcher Name dem Kaiser vorschwebe, riss der Jubel allerdings abrupt ab. Der Monarch hielt nämlich „Allerunver­söhnlichst­er“für passend. Und das ungarische Wort für „Allerunver­söhnlichst­er“lautet „Legmegenge­sztelhetet­lenebbek“(oder so ähnlich), was selbst geübte magyarisch­e Zungen in eminente Bruchgefah­r gebracht hätte.

Rasch war daher ein Kompromiss gefunden und das Schiff wurde auf den lateinisch­en Namen „Viribus Unitis“getauft, den Wahlspruch des Kaisers. „Viribus Unitis“– „Mit vereinten Kräften“– scheint auch das Motto der aktuellen Regierung zu sein. Stand der Beurteilun­g: Tag 106. Es ist durchaus möglich, dass der eine Koalitions­partner dem anderen noch zum Legmegenge­sztelhetet­lenebbek wird.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria