Was die Koalition mit einem Kriegsschiff zu tun hat
Eine 100-Tage-Bilanz, aus Waterloo-Gründen erst verspätet gezogen.
Im verständlichen Drang, immer und überall Erster zu sein, haben Journalisten, Politiker und Experten schon ab dem Tag 85 begonnen, eine Bilanz über die ersten 100 Tage der neuen Regierung zu ziehen. Solche frühzeitigen Beurteilungen können freilich ihre Tücken haben. Die berühmten 100 Tage, die Napoleon Bonaparte nach seiner Flucht aus Elba beschieden waren, ließen sich bekanntlich überaus triumphal an. Dann kam Waterloo.
Vorsichtshalber wird an dieser Stelle daher erst heute, am Tag 106, eine 100-Tage-Bilanz der neuen Koalition versucht. Sie lautet: Waterloo gab es bislang keines. Nicht einmal eine Schlacht. Denn die auffälligste Eigenschaft von ÖVP und FPÖ ist, dass sie – zumindest auf offener Bühne – nicht streiten. Sondern dass sie Kompromisse schließen bzw. „leben“, wie der Vizekanzler gern formuliert.
Der politische Kompromiss ist in den vergangenen Jahren stark in Verruf geraten, da die vormaligen Regierungsparteien ihn immer auf Kosten eines Dritten, nämlich des Budgets, schlossen. In Wahrheit ist der Kompromiss eine lobenswerte heimische Polit-Spezialität, die noch aus der Monarchie herrührt, deren oberste Maxime es war, alle ihre Völker in einem Zustand wohltemperierter Unzufriedenheit zu halten. (Was passierte, als die Völker auf das Ziel der vollen Zufriedenheit losmarschierten, erlebte man dann später.)
Einer der damaligen Kompromisse hing mit einem Kriegsschiff zusammen, das knapp vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurde und den Stolz der österreichisch-ungarischen Marine darstellen sollte. Über den Namen des Schiffes gingen die Meinungen aber auseinander. Die Wiener Behörden schlugen einen österreichischen Namen vor, woraufhin die ungarische Reichshälfte wie ein Mann aufstand und auf einen ungarischen Namen pochte. Der Streit wogte hin und her, bis Kaiser Franz Joseph ent- schied: Das Schiff wird einen ungarischen Namen tragen. Die Ungarn jubelten.
Als sie sich erkundigten, welcher Name dem Kaiser vorschwebe, riss der Jubel allerdings abrupt ab. Der Monarch hielt nämlich „Allerunversöhnlichster“für passend. Und das ungarische Wort für „Allerunversöhnlichster“lautet „Legmegengesztelhetetlenebbek“(oder so ähnlich), was selbst geübte magyarische Zungen in eminente Bruchgefahr gebracht hätte.
Rasch war daher ein Kompromiss gefunden und das Schiff wurde auf den lateinischen Namen „Viribus Unitis“getauft, den Wahlspruch des Kaisers. „Viribus Unitis“– „Mit vereinten Kräften“– scheint auch das Motto der aktuellen Regierung zu sein. Stand der Beurteilung: Tag 106. Es ist durchaus möglich, dass der eine Koalitionspartner dem anderen noch zum Legmegengesztelhetetlenebbek wird.