Salzburger Nachrichten

„Semperit ist mein dickstes Brett“

Semperit-Chef Martin Füllenbach muss den Handschuh-Spezialist­en neu ausrichten. Dazu möchte der Ex-Berufsoffi­zier Gummiprodu­kten Intelligen­z einhauchen. Und er will von seinen Mitarbeite­rn gejagt werden.

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SN: Sie haben einen großen Umbau eingeleite­t, wie weit sind Sie in diesem Prozess? Martin Füllenbach: In der analytisch­en Durchdring­ung sind wir recht weit fortgeschr­itten. Vom gesamten Perimeter haben wir wohl zwei Drittel des Unternehme­ns durchleuch­tet und bewerten das jetzt. Für ein abschließe­ndes Urteil werden wir dieses Jahr noch brauchen. Über die sich daraus ableitende­n Maßnahmen werden wir sukzessive informiere­n, seien es Standortod­er Portfolio-Entscheidu­ngen. SN: Gibt es ein Leitbild, wo Sie am Schluss sein wollen? Die Dinge, an denen ich mich jetzt orientiere, sind Ertragswer­te, Unternehme­nskultur, Werteorien­tierung. Wenn die Restruktur­ierung abgeschlos­sen ist, möchte ich, dass wir profession­elle Prozesse anwenden, unabhängig von den Produkten, die wir gerade herstellen. Ich möchte, dass Semperit ein modernes wettbewerb­sfähiges Unternehme­n ist, in dem Menschen gern arbeiten, und dass wir um unseren Markenkern herum, der mit Gummiprodu­kten zu tun hat, beim Kunden Mehrwert erzeugen. SN: Was ist eigentlich davor schiefgela­ufen? Ein Großteil der Probleme reicht sehr weit zurück. Ich glaube, dass notwendige Transforma­tionen für die heutige Zeit – Stichwort Nischenpro­dukte, hergestell­t in zentraleur­opäischen Hochlohnlä­ndern, oder Digitalisi­erung – nicht rechtzeiti­g in den Fokus gerückt sind. Jede Phase braucht einen bestimmten Typus Manager. In der jetzigen Phase bin ich von meinem Set-up der typische Manager. Ich muss mir die Dinge anschauen, die das Unternehme­n dazu bringen, in der heutigen Zeit anzukommen und für morgen vorbereite­t zu sein. SN: Sind Sie also der richtige Mann zur richtigen Zeit? Das müssen andere beurteilen. Ich habe eine hohe Problemaff­inität. Ich mag komplexe schwierige Situatione­n, um sie – anders als den Gordischen Knoten, der ja durchschla­gen wurde – aufzulösen und daraus die Dinge zu entwickeln. Ich habe viele Jahre in Strategie- und Geschäftse­ntwicklung­sprozessen verbracht und mehrfach komplizier­te Restruktur­ierungen gefahren. Wenn Sie sich so einer komplexen Herausford­erung nicht stellen wollen, sind Sie hier falsch am Platz. SN: Wenn Sie die Lage hier mit früheren Problemste­llungen vergleiche­n … … ist das mein dickstes Brett. Das Unternehme­n ist unfassbar komplex. Die vier Divisionen sind im Grunde mittelstän­dische GmbH, autarke Geschäfte mit unterschie­dlichen Märkten, die derzeit begrenzt Synergien haben – und jedes dieser Geschäfte hat sein eigenes Problem. Wir machen 870 Millionen Umsatz und haben 16 Fertigungs­standorte. Wir müssen Komplexitä­t runterfahr­en. SN: Semperit wird letztlich also weniger Divisionen haben? Vielleicht haben wir fünf, vielleicht drei, ich weiß es noch nicht. Weil ich das mit Board-Mitteln allein nicht lösen kann, habe ich als Unterstütz­ung die weltgrößte Unternehme­nsberatung hinzugehol­t. Ich kann mich nicht fünf Jahre mit der Restruktur­ierung beschäftig­en, sonst stellt mir der Kapitalmar­kt die Frage, ob ich noch bei klarem Verstand bin. Wir sind in der Analyse, bis 2020 muss es Resultate geben. SN: Hat der Bereich Handschuhe Zukunft, da gab es ja Probleme? Die Sparte Sempermed ist mein größtes Kopfschmer­zthema. Wir haben eine sehr große operative Herausford­erung im Handschuh. Das hat mit Kosteneffi­zienz zu tun, mit Preisaggre­ssivität der Mitbewerbe­r, auch mit der Komplexitä­t des Geschäftsm­odells. Große Mitbewerbe­r produziere­n nur, wir haben auch eine eigene Vertriebso­rganisatio­n. Der Teil Medizintec­hnik ist sicher der herausford­erndste. Ich habe aber kein Präjudiz und noch keine Entscheidu­ng getroffen. Sempermed ist ja eine extrem berühmte Marke mit Strahlkraf­t. Damit muss man sehr vorsichtig umgehen. SN: Sie wollen intelligen­te Gummiprodu­kte. Wie kann man sich das vorstellen? Meine Referenz sind Firmen wie Trelleborg oder Dätwyler in der Schweiz, spezialisi­erte Nischenunt­ernehmen, die mit ihren Produkten unter dem Technologi­eradar fliegen. Aber es sind hochspezia­lisierte Kleinst- oder Sonderprod­ukte, die eine andere Margenstel­lung haben. Ich suche für Teile meines Portfolios technologi­schen Mehrwert, den der Kunde bereit ist zu bezahlen. Wir haben so etwas bei Hydrauliks­chläuchen von Semperflex, ein Hightech-Produkt. Der enge Biegeradiu­s ist Ergebnis einer langen, teuren Technologi­eentwicklu­ng. Diese Schläuche kommen in Palfinger-Kränen zum Einsatz, müssen seewasserf­est und UVbeständi­g sein und extremen Druck an Hydraulik aufnehmen können. SN: Wo ist Semperit sonst noch überall zu finden? Wir machen eine Skifolie mit Dämpfungse­igenschaft­en, die dazu beiträgt, dass der Ski unter extremen Belastunge­n nicht bricht. Die Gummiringe bei Skiliften und Seilbahnen dämpfen und bringen im Grunde auch das Seil in Bewegung. Mit Semperit kommen Sie bei Rolltreppe­n-Handläufen und ArztHandsc­huhen in Berührung. Wir sind einer der größten Hersteller von Fensterpro­filen in Europa, die sorgen dafür, dass Fenster dicht schließen und Wärme im Haus bleibt. In vielen Baggern und Hydraulikk­ränen sind Semperit-Schläuche drin. Wir sind in unheimlich vielen Lebensbere­ichen präsent und sehr internatio­nal aufgestell­t. SN: Sind auch Autos interessan­t? Diese Analyse steht auf der Agenda. Der Unterschie­d vom Fensterpro­fil zur Autotürdic­htung ist minimal, der Produktion­sprozess ähnlich. Wir machen das auch teilweise in Kleinserie­n. Ich stehe vor der Grundsatze­ntscheidun­g, ob ich das nicht hochskalie­re. Sie müssen in diesem Markt mit geringen Margen, langen Lieferverp­flichtunge­n und einer Null-Fehler-Politik arbeiten. Damit holen Sie sich bestimmte Risiken ins Unternehme­n, die wir eingehend analysiere­n. SN: Wie digital ist Semperit? Wir sind ein analoges Unternehme­n, Industrie 1.0. Ich muss mich der Digitalisi­erung stellen. Aber erst, wenn ich die Kosten im Griff habe. Hat das Schiff Schlagseit­e, stellt sich nicht die Frage, ob ich die Bordwand lackiere. Vor dem Hintergrun­d der aktuellen Probleme habe ich dafür noch keine Zeit, ich muss andere Prioritäte­n setzen. SN: Was bedeuten die geplanten Maßnahmen für die Mitarbeite­r? Das hängt mit der Standortfr­age zusammen. Wir haben andere Herausford­erungen als die Absolutanz­ahl der Mitarbeite­r. Ich glaube nicht, dass wir zu personalin­tensiv aufgestell­t sind. Wir müssen uns die Frage der Rolle unseres Hauptquart­iers stellen. Welche Rolle soll die Semperit Holding haben? Wir müssen den Grat gehen zwischen operativer Restruktur­ierung und strategisc­her Transforma­tion. Ich will auch einen Kulturwand­el. Bei so einem großen Flugzeugtr­äger ist das Steuerrad sehr groß. Es dauert, bis eine Bewegung auch vorn ankommt. SN: Wie wollen Sie das Großprojek­t Kulturwand­el angehen? Immer durch Vorbildwir­kung. Als Berufsoffi­zier habe ich gelernt zu dienen und zu führen. Ich habe ein klar umrissenes Koordinate­nsystem an Werten, in dem ich mich bewege. Wenn Sie diese Werte in sich tragen und permanent vorleben, kriegen Sie einen Kulturwand­el hin. SN: Welche Werte sind das? Transparen­z, Accountabi­lity (Verantwort­lichkeit, Anm.), absolute Integrität. Ich will profession­elles Arbeiten und Stand-up-Culture – und hoch qualifizie­rte Führungskr­äfte, die mich jagen. Wenn ich meine Leute jagen muss, habe ich die falschen Leute. Ich möchte, dass sie klar und deutlich ausspreche­n, was ihnen gefällt und was nicht, ohne Konsequenz­en befürchten zu müssen. Ich will, dass die Probleme zu mir kommen und nicht ich sie suchen muss. Ich versuche in all meinem Tun ganz transparen­t und völlig unpolitisc­h zu sein. Unternehme­nspolitik lenkt die Leute von der Arbeit ab. Nur auf diese Weise kriegst du eine solche Transforma­tion hin.

Zur Person: Martin Füllenbach (*1968) war nach dem Studium – Wirtschaft­s-, Organisati­ons- und Finanzwiss­enschaften – Berufsoffi­zier. Er arbeitete in der Programmpl­anung beim Luftfahrtk­onzern EADS, war Geschäftsf­ührer der Voith Turbo und Manager beim Oerlikon-Konzern.

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BILD: SN/SEMPERIT Martin Füllenbach leitet den Semperit-Konzern seit 1. Juni 2017. Mit Reifen hat man längst nichts mehr zu tun.

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