Warum sie trotzdem Orbán wählen
Verdachtsfälle von Korruption häufen sich im Umfeld des ungarischen Premiers. Wähler scheint das nicht zu vergraulen.
Lőrinc Mészáros ist das Paradebeispiel dafür, wie Viktor Orbán über öffentliche Aufträge sein Umfeld versorgt. Er ist aber nicht das einzige. Der letzte Fall, den die Betrugsermittler der EU-Behörde Olaf im Februar aufgedeckt haben, betrifft den Schwiegersohn des ungarischen Premiers. Die Fidesz-Regierung, so konstatierte Olaf, habe Ausschreibungen für Straßenlaternen auf dessen Unternehmen maßgeschneidert. Orbáns Schwiegersohn habe unrechtmäßig von Projekten profitiert, in denen 44 Millionen Euro EU-Fördergeld stecken.
Korruptionsfälle wie dieser sind auch in Ungarn bekannt. Ein Teil der Orbán-Anhänger würde sie aber für Propaganda der Opposition halten, sagt der ungarische Politologe Andras Schweitzer. Andere hielten sie durchaus für zutreffend – und wählten trotzdem Orbán.
Die Ungarn trauen Politikern generell nicht, sagte Schweitzer kürzlich in Wien, wo er auf Einladung des Forum Journalismus und Medien die Stimmung in seinem Heimatland vor den Wahlen am Sonntag analysierte. Viele Ungarn sehen über Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung mit dem Argument hinweg, die Opposition würde es auch nicht anders machen, wäre sie an der Macht. Andere wiederum hielten es für den Lauf der Dinge, dass nach der Verstaatlichung im Kommunismus und der postkommunistischen Privatisierungswelle nun die Pfründe unter ungarischen Oligarchen aufgeteilt würden.
Orbán habe es geschafft, die Nation zu teilen, meint der ungarische Journalist Pál Dániel Rényi, der für das regierungskritische Nachrichtenportal 444.hu arbeitet. Der Premier unterteile in Kommunisten, zu denen er alle linken Parteien zähle, und in die Nichtkommunisten, die Fidesz repräsentiere. In diesem Schema ist es nach Ansicht vieler Ungarn besser, Orbán und seine Vertrauten bereichern sich am Steuergeld, als die Kommunisten.
Generell appelliert Orbán an die Ängste seiner potenziellen Wähler, nicht nur in der Flüchtlingskrise. Nur die ungarische Nation könne ungarische Interessen schützen, laute das Narrativ des Premiers, erklärt Schweitzer. Konkrete Versprechen mache der Parteichef des Fidesz dabei nicht. „Orbán bietet den Menschen nichts an, nicht einmal ein Wahlprogramm“, sagt der Politikwissenschafter. Anders als in allen anderen EU-Ländern gebe es vor den Wahlen auch keine Fernsehduelle der Spitzenkandidaten, Orbán gebe grundsätzlich keine Interviews in unabhängigen Medien.
Dass die Regierungspartei bei den anstehenden Wahlen zwar gewinnen, aber Stimmen verlieren wird, glaubt Politologe Schweitzer trotzdem. Vor allem bei der Kampagne gegen Millionär George Soros hätten die Ungarn das Gefühl, Fidesz übertreibe. Auch bei der Kritik an der EU sollte Orbán maßhalten: 84 Prozent der Ungarn sind laut einer aktuellen Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) für die EU-Mitgliedschaft. 47 Prozent der Ungarn sind der Ansicht, dass die EU in der politischen Diskussion zu negativ dargestellt wird. Nur 29 Prozent halten die Darstellung für fair.
„Orbán bietet den Ungarn nichts an, nicht einmal ein Wahlprogramm.“