Kommt die Wahrheit auf den Tisch?
Trainerlegende Charly Kahr, des Missbrauchs bezichtigt, zitiert eine Ex-Skiläuferin wegen übler Nachrede vor Gericht. Ein brisanter Prozess.
BLUDENZ, WIEN. Im Saal 27 des Bludenzer Bezirksgerichts hat eine junge Richterin heute, Freitagnachmittag, einen Prozess zu verhandeln, der von enormem öffentlichen Interesse ist. Es geht um eine Privatanklage des früheren ÖSV-Startrainers Karl „Charly“Kahr. Der inzwischen 85-jährige Ex-ÖSV-Erfolgscoach wirft einer ehemaligen Vorarlberger Skirennläuferin eine strafbare Handlung gegen die Ehre, konkret „üble Nachrede“(Paragraf 111 Strafgesetzbuch), vor. Im Hintergrund stehen bereits vor Monaten bekannt gewordene Vorwürfe beim ÖSV in den 60erund 70er-Jahren, die sich auch gegen Kahr richten.
Basis der Privatanklage sind mehrere WhatsApp- und SMSNachrichten, die die beschuldigte Ex-Rennläuferin und auch deren Ehemann an Jahrhundertsportlerin Annemarie MoserPröll geschrieben haben. In den digitalen Nachrichten sollen die beschuldigte Ex-Rennläuferin – in den 70er-Jahren Teamkollegin von Moser-Pröll – und ihr Gatte den damaligen Trainer Kahr des sexuellen Missbrauchs bezichtigt haben. Die Privatanklage richtet sich daher auch an den Ehemann der Vorarlbergerin.
Der Wiener Anwalt Manfred Ainedter, er vertritt Kläger Kahr, sagte dazu im Vorfeld des Prozesses, dass sein Mandant in den WhatsAppund SMS-Nachrichten konkret des Missbrauchs bezichtigt worden sei: Moser-Pröll, so Ainedter in den „Vorarlberger Nachrichten“, „sollte zugeben, von sexuellen Übergriffen Kahrs gewusst“zu haben; und Moser-Pröll sei „aufgefordert worden, das kundzutun“.
Die aus Kleinarl stammende Moser-Pröll, Österreichs erfolgreichste Skirennfahrerin aller Zeiten, ist in Bludenz als einzige Zeugin geladen. Sie hatte wohl ihren Ex-Trainer Kahr über die WhatsApp-Nachrichten informiert, worauf der empörte Kahr über seinen Anwalt die Privatanklage anstrengte. Der Prozess ist, so Gerichtssprecher Norbert Stütler vom Landesgericht Feldkirch zu den SN, von 14 bis 17 Uhr angesetzt.
Bemerkenswert auch: MoserPröll hatte Ende März gegenüber den SN „von Nachrichten unter der Gürtellinie“gesprochen und auch vor einigen Wochen als eine von zehn Ex-Rennläuferinnen ein Solidaritätsschreiben für Kahr unterzeichnet. In diesem, an Kahr gerich- tet, betonen die zehn Läuferinnen, sie hätten während ihrer aktiven Zeit „nie eine negative Wahrnehmung von physischer oder psychischer Gewalt deinerseits erfahren“.
Die beiden Beschuldigten werden vom Vorarlberger Anwalt Martin Mennel vertreten. Dieser sagte im Vorfeld gegenüber dem „Standard“, „dass Kahr und Moser-Pröll unter Wahrheitspflicht aussagen müssen“. Nachsatz: „Wenn die Wahrheit auf den Tisch kommt, sehe ich kein Problem für meine Mandanten.“Die Verhandlung ist grundsätzlich öffentlich; ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist aber aufgrund der Hintergründe wohl möglich.
Die Vorarlbergerin war zwei Jahre auch Zimmerkollegin von Nicola Werdenigg. Ex-Skiläuferin Werdenigg hatte im Vorjahr erstmals über mutmaßlichen Missbrauch im Skiteam in den 1970er-Jahren berichtet und eine Lawine losgetreten. Werdenigg soll damals offenbar von einem Teamkollegen vergewaltigt worden sein. Im Februar veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“Aussagen zweier Ex-Rennläuferinnen, die angaben, Kahr habe sie missbraucht. Gegen die „Süddeutsche“leitete Ainedter ein medienrechtliches Verfahren ein. Dieser Tage wurde zudem bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Leoben gegen Kahr im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen ermittelt.
„Die Strafdrohung für üble Nachrede beträgt maximal ein Jahr Haft.“Norbert Stütler, Gerichtssprecher