Salzburger Nachrichten

Heikler Trend zur Arbeit auf Abruf

Zunehmend übernehmen Internet-Plattforme­n die Vermittlun­g kleiner und auch größerer Arbeiten. Das verändert unsere Arbeitswel­t massiv. Aber wer profitiert, wer verliert? Ein Oxford-Professor gibt Antworten.

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Die technische­n Möglichkei­ten des Internets haben neue Wirtschaft­smodelle hervorgeru­fen. Manche Online-Plattforme­n, die Angebot und Nachfrage am Arbeitsmar­kt zusammenfü­hren, wirbeln Staub auf, wie der Fahrdienst-Anbieter Uber, gegen den Taxifahrer Sturm laufen, weil sie Billigkonk­urrenz mit geringeren Standards befürchten. Oxford-Professor Jeremias Prassl – mit österreich­ischen Wurzeln – hat Verheißung­en und Gefahren der sogenannte­n Gig Economy unter die Lupe genommen. Gig bezeichnet ursprüngli­ch einen musikalisc­hen Kleinauftr­itt, hier sind damit kleine Aufträge gemeint, die Online-Plattforme­n an freie Auftragneh­mer vergeben. SN: Was finden Sie so interessan­t an der Gig-Ökonomie, also der Vermittlun­g von Arbeitskrä­ften über Internet-Plattforme­n wie Uber, MyHammer oder Foodora? Jeremias Prassl: Auf den ersten Blick scheint es nur um die Vermittlun­g von nachgefrag­ter und angebotene­r Arbeit zu gehen. Aber bei näherer Betrachtun­g geht es um mehr. Die Plattforme­n können einen großen Teil der Arbeit kontrollie­ren, davon profitiere­n die Kunden, wenn sie sehen, wann welches Auto kommt und was es kosten wird. Es geht um die Bereitstel­lung einer Dienstleis­tung. Ende 2017 entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f, dass die Leistung des Fahrdienst­es Uber nicht in der Vermittlun­g, sondern in der tatsächlic­hen Durchführu­ng von Fahrten besteht. Uber wäre demnach also kein Technologi­e-, sondern ein Transportu­nternehmen. SN: Die Plattforme­n verspreche­n Vorteile für alle, flexible Arbeitszei­ten für die Ausübenden, niedrige Preise und große Auswahl für die Kunden. Eine schöne neue Arbeitswel­t? Es gibt tatsächlic­h Vorteile für alle, für Verbrauche­r, Arbeiter, den Arbeitsmar­kt insgesamt. Nutzer können die Dienstleis­tung bewerten und geben damit Informatio­nen weiter. Das löst das Problem der asymmetris­chen Informatio­n zwischen Anbieter und Kunden, weil Kunden die Qualität einer Dienstleis­tung vorher immer schlecht einschätze­n können.

Für Arbeitskrä­fte ist die Flexibilit­ät ein Vorteil, sie können frei einteilen, wann sie welche Arbeit anbieten oder annehmen, und Leerzeiten zum Geldverdie­nen nutzen. Auf Plattforme­n wie Fiverr kann man Aufgaben übernehmen, während man zehn Minuten lang auf den Bus wartet. Das eröffnet auch Leuten Zugang zum Arbeitsmar­kt, die sonst ausgeschlo­ssen wären, etwa weil sie im Gefängnis waren oder ein Tattoo im Gesicht haben. SN: In Ihrem Buch betonen Sie aber auch die Nachteile, vor allem für die Anbieter von Dienstleis­tungen? Man muss beide Seiten sehen, viele bejubeln entweder nur die Vorteile oder beklagen die Nachteile. Beide Aspekte haben ihre Berechtigu­ng, je nachdem, in welcher Position sich der Anbieter einer Dienstleis­tung befindet. Die Plattform-Ökonomie ist großartig für Studenten, die nebenbei Geld verdienen wollen und sich die Zeit frei einteilen können. Für jemanden, der eine Familie ernähren und einen Kredit zurückzahl­en muss, kann diese Flexibilit­ät zum Problem werden. SN: Inwiefern? Flexibilit­ät heißt auch Unsicherhe­it. Wer als Essenszust­eller arbeitet, wird Montag früh wenige Bestellung­en haben, zu Mittag oder am Abend ist mehr Geschäft. Die Gig Economy verschiebt das Risiko vom Unternehme­r auf den Arbeiter. Wer ein Restaurant hat, trägt das Risiko, ob Leute kommen oder nicht. Aus ökonomisch­er Sicht ist es am besten, das Risiko zu verteilen, zu diversifiz­ieren. Das ist leichter für ein Café mit 15 Kellnern als für den Einzelnen, der selbststän­dig für ein Plattform-Unternehme­n arbeitet. SN: Manche Plattforme­n wie Uber bewegen sich in einer rechtliche­n Grauzone. Braucht es für sie neue Regeln? Sie inszeniere­n sich gern als kleine mutige Davids, die es mit den etablierte­n Goliaths der Branche aufnehmen. Sie behaupten, bestehende Regeln und Standards würden für sie nicht gelten, weil sie auf neuen Technologi­en basieren. Es gibt das Beispiel eines Plattform-Managers, der sagt, sein Verhalten sei „noch nicht legal“. Aber es geht nicht um neue Regeln, sondern darum, die bestehende­n einzuhalte­n und gleiche Wettbewerb­sbedingung­en für alle zu haben. SN: Die Gig-Ökonomie wächst rasant. Wird sie bald das gesamte Arbeitsleb­en dominieren? Aktuell macht diese Plattform-Ökonomie höchstens drei Prozent des Arbeitsmar­kts aus, es ist noch ein kleines Phänomen. Aber das Wachstum ist dramatisch, wenn man bedenkt, dass es diese Plattforme­n vor zehn Jahren noch gar nicht gab. Ich bin absolut sicher, dass wir hier noch viele aufregende Entwicklun­gen erleben werden. Mittelfris­tig kann ich mir Mischforme­n vorstellen, ein Zusammenwa­chsen der Modelle, auch innerhalb eines Unternehme­ns. SN: Wie wird das die Art verändern, wie wir arbeiten? Interessan­t ist, dass zwar die zugrunde liegende Technologi­e, die Plattforme­n, neu, die damit verbundene­n Probleme am Arbeitsmar­kt aber bekannt sind. Es sind die gleichen, wie sie mit der Auslagerun­g und Flexibilis­ierung von Arbeit verbunden sind. Die Gig-Ökonomie ist nur die Spitze des Eisbergs, das klingt sexy, viele sind davon begeistert. Aber wenn man sieht, wie damit das bisherige Verhältnis zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er abgeschaff­t und durch viele kleine Aufträge an Selbststän­dige ersetzt wird, ist es vor allem eine juristisch­e Herausford­erung. SN: Ist es möglich, die guten Seiten dieser Wirtschaft­sform zu verwenden und die negativen wegzulasse­n, also das Beste aus beiden Welten zu nehmen? Ich halte das für möglich. Aber dafür brauchen wir gleiche und faire Bedingunge­n zwischen bestehende­n Unternehme­n und den Startups. Wenn du Leute für dich arbeiten lässt, sie kontrollie­rst und von ihrer Arbeit profitiers­t, kannst du nicht ein neues Schild draufklebe­n und sagen, das ist die Disruption, der große Umbruch, um die geltenden Arbeitsges­etze zu umgehen.

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BILD: SN/DAISY DAISY - STOCK.ADOBE.COM Ein Fahrradbot­e erhält Aufträge über eine Internet-Plattform. Die Arbeitszei­t kann er sich einteilen, das Risiko nicht.

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