Salzburger Nachrichten

Parasit verursacht Evolution

Sie heißen Transposon­s und leben als springende Gene in unserem Erbgut. Sie können vermutlich Krankheite­n auslösen, aber auch bewirken, dass Evolution stattfinde­t.

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WIEN, TÜBINGEN. Parasiten gibt es nicht nur im Pflanzen- und Tierreich. Sie sind auch ein Teil von uns selbst. Unser Erbgut enthält eine Unzahl an winzigen Abschnitte­n, die sich in uns ungeniert – und unbemerkt – vervielfäl­tigen. Diese sogenannte­n Transposon­s werden deshalb auch als parasitisc­he DNA bezeichnet.

Oliver Weichenrie­der vom MaxPlanck-Institut für Entwicklun­gsbiologie in Tübingen erforscht den Kopiervorg­ang dieser Transposon­s. Nicht nur, weil sie Krankheite­n auslösen können, sondern weil sie möglicherw­eise ein wichtiger Motor der Evolution sind.

Evolution ist nicht irgendwann in der Erdgeschic­hte passiert und ist auch nicht abgeschlos­sen. Evolution findet immer statt. Jeden Tag, bei allem Lebendigem auf der Erde. Parasitisc­he DNA ist die plakative Beschreibu­ng für die Erbgutschn­ipsel, wissenscha­ftlich werden sie als Transposon­s bezeichnet. Transposon­s sind kurze DNA-Abschnitte, die sich von allein immer wieder kopieren und an neuen Stellen der DNA ins Erbgut einbauen.

Den Begriff „transponie­ren“, kennt man eigentlich aus der Musik. Er bedeutet, ein Musikstück in eine andere Tonart zu versetzen. Bei Transposon­s wird genetische Informatio­n vom einen zum anderen Ort des Erbguts verfrachte­t. Dieses Ein- und Umlagern findet bei der Entwicklun­g von Geschlecht­szellen statt, aber vor allem im frühen Embryo, wenn sich Zellen gerade intensiv teilen. Dadurch wird die Abfolge der DNA jedes Mal aufgemisch­t – mit teils ernsten Folgen: „Es kann passieren, dass sich ein Transposon in einem Genabschni­tt einnistet, der die Informatio­n für ein Protein enthält, das wichtig für den Stoffwechs­el ist“, erklärt Weichenrie­der. Das Gen kann dann nicht mehr korrekt abgelesen werden. Das „APC-Gen“ist ein solcher Fall. Es kann die Entstehung von Krebs verhindern. Ist es durch den Einbau eines Transposon­s gestört, kann Darmkrebs die Folge sein.

Das Erbgut benötigt Proteine, um die Informatio­n von der DNA abzulesen und erneut in Proteine zu übersetzen. Auch die Transposon­s, die unter dem Mikroskop aussehen wie glitzernde Diamantens­plitter, brauchen verschiede­ne Proteine für ihren Einbau ins Erbgut.

Die Transposon­s haben also zunächst nur die eigene Vermehrung im Blick. Zum Überleben des Organismus scheinen sie nichts beizutrage­n. Trotzdem sind sie nützlich. Wenn sie ihre Kopien ins Erbgut einstreuen, mischen sie die DNA immer wieder neu und halten damit die Evolution am Laufen.

„Das hält das Erbgut flexibel“, sagt Weichenrie­der. „In Zeiten, in denen sich die Umwelt durch Klimawande­l oder Naturkatas­trophen stark verändert, kann sich der Organismus schneller anpassen.“Tatsächlic­h konnte nachgewies­en werden, dass Transposon­s in Pflanzen besonders aktiv sind, wenn die Pflanzen unter Stress stehen – zum Beispiel bei großer Hitze.

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