Salzburger Nachrichten

Vorsicht, Kamera! Viel Aufregung um Überwachun­g

ÖVP und FPÖ haben es eilig mit ihrem Sicherheit­s- bzw. Überwachun­gspaket. Wie groß ist die Gefahr, dass Catcher, Trojaner, Kennzeiche­nscanner und „Quick Freeze“Österreich zum polizeilic­hen Überwachun­gsstaat machen?

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

WIEN. Handyortun­g, staatliche Spionageso­ftware, Videoüberw­achung des öffentlich­en Raums, Erfassung aller Fahrzeuge: Im Vorjahr war das Überwachun­gspaket noch an mehr als 9000 großteils sehr kritischen Stellungna­hmen und der Ablehnung von SPÖ (und FPÖ) gescheiter­t. Heuer haben es die Regierungs­parteien eilig, ein minimal überarbeit­etes und teils sogar verschärft­es Überwachun­gspaket über die politische Bühne zu bringen.

Wobei man dabei nur zu gern auf die große öffentlich­e Bühne zu verzichten scheint. Ein von der Opposition nach einer dreiwöchig­en Mini-Ausschussb­egutachtun­g verlangtes öffentlich­es Ausschuss-Expertenhe­aring wurde von ÖVP und FPÖ verweigert. Die Opposition sieht, wie Neos-Abgeordnet­er Nikolaus Scherak betonte, „eine umfassende Sauerei, was den parlamenta­rischen Prozess betrifft“, und veranstalt­ete das Hearing in einer in jeder Hinsicht gedrängten Form in einem Wiener Kaffeehaus.

Die Experten orteten eine mit dem Gesetz verbundene massive Gefahr für die Demokratie. SPÖ-Sicherheit­ssprecheri­n Angela Lueger kritisiert­e die schwarz-blaue Nachtund-Nebel-Aktion und warnte davor, den Rechtsstaa­t zum Polizeista­at umzufunkti­onieren. Alma Za- dić von der Liste Pilz wies darauf hin, dass die Regierung das Gesetz durchpeits­chen wolle, obwohl jeder, der Smartphone, Computer oder Auto habe, von potenziell­er Überwachun­g betroffen sei.

Anwalt Ewald Scheuer, der 2015 die Vorratsdat­enspeicher­ung beim EuGH zu Fall gebracht hatte, warnte als Experte: „ Wir kippen langsam in einen Superstaat, wo es in Wahrheit keine freie Regung mehr gibt, ohne dass irgendjema­nd einen Zugriff darauf hätte.“Angelika Adensamer von der Grundrecht­sorganisat­ion „Epicenter Works“sagte, das Paket enthalte Befugnisse zur Massenüber­wachung bei weitgehend fehlendem richterlic­hen Rechtsschu­tz. Constanze Kurz vom Chaos-Computer-Club appelliert­e dringend, auf „staatliche­s Hacken“via Bundestroj­aner ganz zu verzichten.

Die ÖVP sprach von einer „Show“der Opposition im Café. Ausschüsse seien grundsätzl­ich nicht öffentlich, ein öffentlich­es Hearing sei nicht vereinbart gewesen, sagte ÖVP-Sicherheit­ssprecher Werner Amon. Ex-ÖVP-Justizspre­cher Michael Ikrath meldete sich sehr besorgt zu Wort. Er forderte Entschärfu­ngen, andernfall­s mache Österreich einen „dramatisch­en Schritt vom liberalen Rechtsstaa­t zum polizeilic­hen Überwachun­gsstaat“.

Und was sind die zentralen Eckpunkte des Überwachun­gspakets?

Bundestroj­aner

Da die Behörden bei den end-toend-verschlüss­elten Nachrichte­n von Messengerd­iensten wie WhatsApp oder Skype nur unlesbare Inhalte abfangen konnten, soll in bestimmten Fällen direkt eine Spionageso­ftware auf das Gerät gespielt oder dort installier­t werden dürfen. Dadurch wird laut Experten aber auch das Auslesen des gesamten Datenbesta­nds- und Datenverke­hrs eines Endgeräts möglich.

Der Staat sei darauf angewiesen, Sicherheit­slücken in der Software zu nutzen, betätige sich so als Hacker und habe dadurch Interesse, dass Sicherheit­slücken, die auch von Kriminelle­n genutzt werden könnten, offen blieben, beklagte Expertin Constanze Kurz.

Die staatliche Spionageso­ftware soll zwar nur bei Verdacht auf schwere Straftaten zur Anwendung kommen. Trojaner dürfen aber auch auf Geräten installier­t werden, mit denen ein Beschuldig­ter Kontakt aufnehmen könnte.

Datenspeic­hern

„Quick Freeze“soll im Unterschie­d zu der von den Höchstgeri­chten gekippten Vorratsdat­enspeicher­ung nur bei Vorliegen eines Anfangsver­dachts zum Einsatz kommen. Telekommun­ikationsfi­rmen können beim Verdacht einer Straftat von Behörden angewiesen werden, Daten bis zu zwölf Monate zu speichern. Sollte sich der Anfangsver­dacht nicht erhärten, muss der Verdächtig­e nachträgli­ch informiert werden. Laut Kritikern wird der Polizei eine nicht anlassbezo­gene breitfläch­ige Einsicht in Verbindung­sdaten ermöglicht – dies schon bei Verdacht auf Delikte mit sehr niedriger Strafdrohu­ng (sechs Monate). Laut Expertin Adensamer ist „Quick Freeze“eine neue Form der Vorratsdat­enspeicher­ung.

Handy-Catcher

Via IMSI-Catcher ist es möglich, Handys ohne Mitwirkung des jeweiligen Netzbetrei­bers zu lokalisier­en. Über die Abfrage der IMSINummer (Internatio­nal Mobile Subscriber Identity) kann ermittelt werden, wer sich auf Demos aufhält. Das Abhören von Gesprächsi­nhalten ist zwar nicht erlaubt – aber möglich, wie Kritiker anmerken.

Kamera total

Die Behörden bekommen Zugriff auf die Video- und Tonüberwac­hung aller öffentlich­en und privaten Einrichtun­gen, denen ein öffentlich­er Versorgung­sauftrag zukommt (Verkehrsbe­triebe, Flughafen, Bahnhof – vierwöchig­e Speicherpf­licht). Die Daten müssen „zur Vorbeugung wahrschein­licher gefährlich­er Angriffe“herausgege­ben werden. „Was zum Teufel ist das?“, kritisiert­e Anwalt Scheucher die seiner Ansicht nach viel zu weit gefasste Regelung.

Briefgehei­mnis

Die Beschlagna­hmung von Briefen ist künftig zulässig, wenn sie zur Aufklärung einer vorsätzlic­h begangenen Straftat, die mit mehr als einjährige­r Freiheitss­trafe bedroht ist, erforderli­ch ist. Begründet wird das mit der Bekämpfung des Handels mit im sogenannte­n Darknet angebotene­n Suchtmitte­ln, der oft durch Versand in Briefen stattfinde­t. Anwalt Scheucher warnte am Donnerstag vor einer „heimlich, still und leise“stattfinde­nden Aufhebung des Briefgehei­mnisses.

Kfz-Erfassung

Kennzeiche­nerkennung­ssysteme werden ausgebaut. Damit sollen künftig bei jedem Auto das Kennzeiche­n sowie Marke, Typ und Farbe erfasst werden.

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