Kein Grund für Pessimismus. Oder?
Wird es unseren Kindern dereinst besser gehen? Keine Ahnung. Fest steht aber, dass wir das Wohlergehen künftiger Generationen beeinflussen können.
Wir seien die erste Generation, deren Kindern es einmal nicht so gut gehen werde wie uns: Diesen Stehsatz kann man seit einigen Jahren oft hören. Dabei ist der Lebenspessimismus, der hier zum Ausdruck kommt, keineswegs angebracht. Denn zum Ersten beherrscht niemand die Kunst, in die Zukunft zu schauen. Über das tatsächliche Wohlbefinden künftiger Generationen werden erst diese künftigen Generationen Auskunft geben können.
Und zum Zweiten ist der beliebte Stehsatz schlicht und einfach falsch. Um nur ein Gegenbeispiel zu nennen: Die Generation der um 1880 Lebenden hatte ein deutlich kleineres Risiko, in Weltkriegen und industriell betriebenen Massenmorden umzukommen als die Generation der um 1915 oder 1940 Lebenden. Die Kinder und Kindeskinder der um 1880 Lebenden hatten es also entschieden schlechter getroffen als ihre Vorfahren, und wir sind also gar nicht die erste und bisher einzige Generation, die sich ernstlich um das Lebensglück ihrer Nachfahren sorgen muss. So viel zur Berechtigung unseres modischen Kultur- und Lebenspessimismus, der sich hauptsächlich aus einem Ängstecocktail aus Klimawandel, Digitalisierung und Globalisierung speist.
Und dennoch: Es ist nicht zu leugnen, dass gerade in unseren Tagen etliche Gewissheiten, auf die wir jahrelang unsere Lebenssicherheit aufbauten, ins Rutschen gekommen sind. Was dem aktuellen Lebenspessimismus denn doch eine gewisse Fundierung gibt. Man denke an den weitverbreiteten Glauben, dass mit der europäischen Integration die Kriegsgefahr in Europa für alle Zeiten gebannt und das Abgleiten in diktatorische Systeme für alle Zeiten verunmöglicht sei. Weit gefehlt! Der Brexit beweist, dass die Integration, die unserem Kontinent Jahrzehnte des Friedens beschert hat, nicht unumkehrbar ist. Niemand kann andere Länder hindern, dem britischen Beispiel zu folgen und ebenfalls die Union zu verlassen. Und auch die Demokratisierung unseres Kontinents ist nicht unumkehrbar. Niemand kann andere Länder hindern, Regierungen zu wählen, die die demokratischen Standards wieder zurückschrauben. Die Beispiele Ungarns und Polens sind erste Warnzeichen in diese Richtung.
Oder der Glaube, dass Digitalisierung und Technisierung unser Leben lebenswerter machen würden. Dieser Glaube hat in weiten Bereichen unseres täglichen Lebens seine Berechtigung. Freilich zeigt der jüngste Datenmissbrauch durch Facebook, dass wir zu Sklaven jener Daten werden können, die wir so bereitwillig weitergeben. Der Datenmissbrauch in großem Stil kann, Stichwort Trump, Wahlergebnisse beeinflussen. Er kann uns zu Marionetten unser Obrigkeit machen – es reicht, wenn die Krankenkasse ihre Daten mit der Tabaktrafik und mit der Weinabteilung im Supermarkt verknüpft. Oder die Polizei die Datenträger moderner Geschwindigkeitsmesser anzapft. Dabei sind das noch die harmloseren Varianten. Weniger harmlos ist die Tatsache, dass groß angelegter staatlicher Datenmissbrauch uns per Knopfdruck zu gläsernen Untertanen totalitärer Systeme machen kann.
Man denke nicht zuletzt an die Bedrohungen des Klimawandels. Oder an die Pluralisierung unserer Gesellschaft durch die massenhafte Einwanderung von Menschen aus fremden Kulturen. All das kann Angst machen. All das kann jenen Pessimismus auslösen, der uns zum Irrglauben verleitet, dass wir die erste Generation seien, deren Kindern es dereinst nicht so gut ergehen werde wie uns.
Das Gegenteil von Pessimismus, nämlich Optimismus, können wir aus der Tatsache schöpfen, dass all die unheimlichen Entwicklungen, die uns ängstigen, durch menschliche Intervention beeinflusst und gebremst werden können. Kluge Politik kann die Gefahren bannen.
Leider ist in dieser Hinsicht, weltweit betrachtet, derzeit nur wenig Anlass zur Hoffnung.