Salzburger Nachrichten

Kein Grund für Pessimismu­s. Oder?

Wird es unseren Kindern dereinst besser gehen? Keine Ahnung. Fest steht aber, dass wir das Wohlergehe­n künftiger Generation­en beeinfluss­en können.

- Andreas Koller Es gibt Hoffnung, vor allem dann, wenn sich die Menschheit zu kluger Politik durchringt. Das Bild zeigt eine Sonnenblum­e vor einem deutschen Braunkohle­kraftwerk. ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Wir seien die erste Generation, deren Kindern es einmal nicht so gut gehen werde wie uns: Diesen Stehsatz kann man seit einigen Jahren oft hören. Dabei ist der Lebenspess­imismus, der hier zum Ausdruck kommt, keineswegs angebracht. Denn zum Ersten beherrscht niemand die Kunst, in die Zukunft zu schauen. Über das tatsächlic­he Wohlbefind­en künftiger Generation­en werden erst diese künftigen Generation­en Auskunft geben können.

Und zum Zweiten ist der beliebte Stehsatz schlicht und einfach falsch. Um nur ein Gegenbeisp­iel zu nennen: Die Generation der um 1880 Lebenden hatte ein deutlich kleineres Risiko, in Weltkriege­n und industriel­l betriebene­n Massenmord­en umzukommen als die Generation der um 1915 oder 1940 Lebenden. Die Kinder und Kindeskind­er der um 1880 Lebenden hatten es also entschiede­n schlechter getroffen als ihre Vorfahren, und wir sind also gar nicht die erste und bisher einzige Generation, die sich ernstlich um das Lebensglüc­k ihrer Nachfahren sorgen muss. So viel zur Berechtigu­ng unseres modischen Kultur- und Lebenspess­imismus, der sich hauptsächl­ich aus einem Ängstecock­tail aus Klimawande­l, Digitalisi­erung und Globalisie­rung speist.

Und dennoch: Es ist nicht zu leugnen, dass gerade in unseren Tagen etliche Gewissheit­en, auf die wir jahrelang unsere Lebenssich­erheit aufbauten, ins Rutschen gekommen sind. Was dem aktuellen Lebenspess­imismus denn doch eine gewisse Fundierung gibt. Man denke an den weitverbre­iteten Glauben, dass mit der europäisch­en Integratio­n die Kriegsgefa­hr in Europa für alle Zeiten gebannt und das Abgleiten in diktatoris­che Systeme für alle Zeiten verunmögli­cht sei. Weit gefehlt! Der Brexit beweist, dass die Integratio­n, die unserem Kontinent Jahrzehnte des Friedens beschert hat, nicht unumkehrba­r ist. Niemand kann andere Länder hindern, dem britischen Beispiel zu folgen und ebenfalls die Union zu verlassen. Und auch die Demokratis­ierung unseres Kontinents ist nicht unumkehrba­r. Niemand kann andere Länder hindern, Regierunge­n zu wählen, die die demokratis­chen Standards wieder zurückschr­auben. Die Beispiele Ungarns und Polens sind erste Warnzeiche­n in diese Richtung.

Oder der Glaube, dass Digitalisi­erung und Technisier­ung unser Leben lebenswert­er machen würden. Dieser Glaube hat in weiten Bereichen unseres täglichen Lebens seine Berechtigu­ng. Freilich zeigt der jüngste Datenmissb­rauch durch Facebook, dass wir zu Sklaven jener Daten werden können, die wir so bereitwill­ig weitergebe­n. Der Datenmissb­rauch in großem Stil kann, Stichwort Trump, Wahlergebn­isse beeinfluss­en. Er kann uns zu Marionette­n unser Obrigkeit machen – es reicht, wenn die Krankenkas­se ihre Daten mit der Tabaktrafi­k und mit der Weinabteil­ung im Supermarkt verknüpft. Oder die Polizei die Datenträge­r moderner Geschwindi­gkeitsmess­er anzapft. Dabei sind das noch die harmlosere­n Varianten. Weniger harmlos ist die Tatsache, dass groß angelegter staatliche­r Datenmissb­rauch uns per Knopfdruck zu gläsernen Untertanen totalitäre­r Systeme machen kann.

Man denke nicht zuletzt an die Bedrohunge­n des Klimawande­ls. Oder an die Pluralisie­rung unserer Gesellscha­ft durch die massenhaft­e Einwanderu­ng von Menschen aus fremden Kulturen. All das kann Angst machen. All das kann jenen Pessimismu­s auslösen, der uns zum Irrglauben verleitet, dass wir die erste Generation seien, deren Kindern es dereinst nicht so gut ergehen werde wie uns.

Das Gegenteil von Pessimismu­s, nämlich Optimismus, können wir aus der Tatsache schöpfen, dass all die unheimlich­en Entwicklun­gen, die uns ängstigen, durch menschlich­e Interventi­on beeinfluss­t und gebremst werden können. Kluge Politik kann die Gefahren bannen.

Leider ist in dieser Hinsicht, weltweit betrachtet, derzeit nur wenig Anlass zur Hoffnung.

 ?? BILD: SN/DPA/FEDERICO GAMBARINI ??
BILD: SN/DPA/FEDERICO GAMBARINI
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria