Wo vom Reformeifer nichts zu spüren ist
Die Regierung will eine Mediendiskussion starten, die seit Jahren geführt wird. Und deren Ergebnisse längst auf dem Tisch liegen.
Eigenartig: Während es der neuen Regierung in den meisten Politikbereichen, siehe Kassenreform, nicht schnell genug gehen kann mit dem Umbau, schlägt sie in der Medienpolitik den entgegengesetzten Weg ein. Zurück zum Start, lautet hier das Motto, oder, wie es Medienminister Gernot Blümel in einem Fachgespräch sinngemäß ausdrückte: Bisher habe es in diesem Land keine wirkliche medienpolitische Diskussion gegeben, daher solle diese nunmehr gestartet werden. Und zwar bei einer Enquete im Juni.
Eigenartig: Die von ÖVP-Medienminister Gernot Blümel vermisste Diskussion findet seit Jahren statt, die meiste Zeit begleitet vom damaligen ÖVP-Mediensprecher, der den Namen Gernot Blümel trug. Mehr als das, es liegen zahlreiche der von Blümel so schmerzlich vermissten Entscheidungsgrundlagen bereits auf dem Tisch. Beispielsweise eine dicke Studie des mittlerweile verstorbenen Publizistikprofessors Hannes Haas über eine Reform der Presseförderung. Beispielsweise ein Gesetzesentwurf zum selben Thema. Es gab eine Medienenquete, die der damalige Medienminister Thomas Drozda veranstaltet hat. Es gibt regelmäßige Public-Value-Berichte des Verlegerverbands. Es gibt Public-Value-Berichte des ORF. Es gibt einen Gesetzesentwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz – ein Anliegen übrigens, das es leider nicht in das Regierungsübereinkommen der Koalition geschafft hat. Es gibt Dutzende Stellungnahmen und Dossiers aller am Medienmarkt Beteiligten. Es ist, kurzum, allseits bekannt, woran es mangelt und was getan werden müsste. Die Regierung müsste es nur tun. Stattdessen beginnt sie die Diskussion wieder bei null. Das ist, als hielte man vor der Reform der Krankenversicherungen eine Enquete ab zum Thema: Was ist eigentlich eine Krankheit? Und braucht dieses Land Krankenhäuser?
Die Regierung schiebt die Medienpolitik auf die lange Bank. Das muss nicht einmal schlecht sein: Eine ORF-Reform nach den Vorstellungen mancher türkiser und vor allem blauer Vordenker ist wohl nicht das, was unser Land zur demokratischen Weiterentwicklung braucht. In anderen Bereichen ist keine Zeit mehr zu verlieren: Ohne Reform der Presseförderung wird die eine oder andere Journalistenausbildungsstätte zusperren müssen. Ohne Informationsfreiheitsgesetz ist demokratische Transparenz nur schwer zu verwirklichen. Die Digitalisierung ändert die Medienwelt schneller, als ein Medienminister das Wort „Enquete“aussprechen kann.
Reden ist gut. Handeln wäre besser.