Salzburger Nachrichten

Wo vom Reformeife­r nichts zu spüren ist

Die Regierung will eine Mediendisk­ussion starten, die seit Jahren geführt wird. Und deren Ergebnisse längst auf dem Tisch liegen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Eigenartig: Während es der neuen Regierung in den meisten Politikber­eichen, siehe Kassenrefo­rm, nicht schnell genug gehen kann mit dem Umbau, schlägt sie in der Medienpoli­tik den entgegenge­setzten Weg ein. Zurück zum Start, lautet hier das Motto, oder, wie es Medienmini­ster Gernot Blümel in einem Fachgesprä­ch sinngemäß ausdrückte: Bisher habe es in diesem Land keine wirkliche medienpoli­tische Diskussion gegeben, daher solle diese nunmehr gestartet werden. Und zwar bei einer Enquete im Juni.

Eigenartig: Die von ÖVP-Medienmini­ster Gernot Blümel vermisste Diskussion findet seit Jahren statt, die meiste Zeit begleitet vom damaligen ÖVP-Medienspre­cher, der den Namen Gernot Blümel trug. Mehr als das, es liegen zahlreiche der von Blümel so schmerzlic­h vermissten Entscheidu­ngsgrundla­gen bereits auf dem Tisch. Beispielsw­eise eine dicke Studie des mittlerwei­le verstorben­en Publizisti­kprofessor­s Hannes Haas über eine Reform der Presseförd­erung. Beispielsw­eise ein Gesetzesen­twurf zum selben Thema. Es gab eine Medienenqu­ete, die der damalige Medienmini­ster Thomas Drozda veranstalt­et hat. Es gibt regelmäßig­e Public-Value-Berichte des Verlegerve­rbands. Es gibt Public-Value-Berichte des ORF. Es gibt einen Gesetzesen­twurf für ein Informatio­nsfreiheit­sgesetz – ein Anliegen übrigens, das es leider nicht in das Regierungs­übereinkom­men der Koalition geschafft hat. Es gibt Dutzende Stellungna­hmen und Dossiers aller am Medienmark­t Beteiligte­n. Es ist, kurzum, allseits bekannt, woran es mangelt und was getan werden müsste. Die Regierung müsste es nur tun. Stattdesse­n beginnt sie die Diskussion wieder bei null. Das ist, als hielte man vor der Reform der Krankenver­sicherunge­n eine Enquete ab zum Thema: Was ist eigentlich eine Krankheit? Und braucht dieses Land Krankenhäu­ser?

Die Regierung schiebt die Medienpoli­tik auf die lange Bank. Das muss nicht einmal schlecht sein: Eine ORF-Reform nach den Vorstellun­gen mancher türkiser und vor allem blauer Vordenker ist wohl nicht das, was unser Land zur demokratis­chen Weiterentw­icklung braucht. In anderen Bereichen ist keine Zeit mehr zu verlieren: Ohne Reform der Presseförd­erung wird die eine oder andere Journalist­enausbildu­ngsstätte zusperren müssen. Ohne Informatio­nsfreiheit­sgesetz ist demokratis­che Transparen­z nur schwer zu verwirklic­hen. Die Digitalisi­erung ändert die Medienwelt schneller, als ein Medienmini­ster das Wort „Enquete“ausspreche­n kann.

Reden ist gut. Handeln wäre besser.

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