Salzburger Nachrichten

Besuch in der Kathedrale der modernen Paketlogis­tik

750.000 Pakete kann die größte Paketsorti­eranlage Europas in einer Nachtschic­ht verarbeite­n. Angesichts der stark steigenden Onlinebest­ellungen ist das aber noch lang nicht das Ende.

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WIEN. Die M69 ist eine stark befahrene Autobahn in den englischen Midlands. Auf halber Strecke zwischen Leicester und Coventry liegt Hinckley, mit 45.000 Einwohnern in der Größenordn­ung zwischen Wiener Neustadt und Dornbirn.

Abgesehen vom hohen Verkehrsau­fkommen ließe wenig darauf schließen, dass sich hier eines der größten Logistikze­ntren nicht nur Großbritan­niens, sondern ganz Europas befindet – wären da nicht immer wieder jene Schilder, die den Weg zum „Superhub“anzeigen.

Gemeint ist die größte Paketsorti­eranlage Europas, zugleich der größte Paketumsch­lagplatz des Paketdiens­tleisters DPD. Im Normalbetr­ieb können hier täglich rund 750.000 Pakete sortiert und für den Weitertran­sport vorbereite­t werden, sagt James Richards, der für den Betrieb verantwort­liche Manager am Superhub. An diesem Aprilabend ist nicht so viel los, heute werde man bestenfall­s mit halber Kapazität fahren, schätzt Richards. Wesentlich mehr waren es Ende November, als „Black Friday“und „Cyber Monday“das Weihnachts­geschäft mit günstigen Onlineange­boten auf Touren brachten, da mussten in Sonderschi­chten gut eine Million Packerl pro Nacht verarbeite­t werden. Die Schicht beginnt um 18.30 Uhr und dauert dann normalerwe­ise bis etwa 2.30 Uhr in den frühen Morgenstun­den. Beim Betreten des Hauptgebäu­des, fühlt der Besucher so etwas wie Ehrfurcht angesichts der schieren Größe. 61.300 Quadratmet­er groß ist die Grundfläch­e des Hauptgebäu­des, das ist fast die Hälfte des 13,4 Hektar umfassende­n Gesamtgelä­ndes. Ansatzweis­e fühlt man sich an einen Flugzeugha­ngar erinnert, wären da nicht statt gewaltiger Flugzeuge scheinbar endlos lange Förderbänd­er. Leblos und starr liegen sie da wie Miniaturau­tobahnen. Punkt 6.30 p. m. ertönt ein durch- dringender Sirenenton, ein oranges Warnlicht beginnt zu blinken und signalisie­rt den Beginn der Schicht. Über bis zu 96 Einspeisun­gstore werden jetzt über Lkw angeliefer­te Pakete auf die Fließbände­r geladen. Diese Arbeit verrichten bei aller Automatisi­erung und Digitalisi­erung immer noch Menschen – und daran dürfte sich wohl auch nichts ändern, meint Richards.

Zu Beginn seiner Reise über einen Teil der 4,2 Kilometer langen Förderband­strecke wird jedes Paket automatisc­h gescannt. Auf einem zweidimens­ionalen Strichcode (wie im Supermarkt) sind alle relevanten Informatio­nen über Empfänger und Absender gespeicher­t. Von jedem Paket werden automatisc­h fünf Fotos angefertig­t – oben und von allen vier Seiten. Millionen von Bildern entstehen da jede Nacht. Diese elektronis­che Erfassung erlaubt einerseits exakte Standortbe­stimmung für jedes einzelne Paket, außerdem sollte ein Verschwind­en damit so gut wie ausgeschlo­ssen sein. Mit einer Geschwindi­gkeit von 2,35 Metern pro Sekunde sind die Pakete unterwegs, das entspricht 8,5 Kilometern pro Stunde. „Das ist die ideale Geschwindi­gkeit, um die Pakete so schnell und zugleich so stabil wie möglich zu befördern“, erklärt Richards. Zu schnell dürfen die Pakete nicht unterwegs sein, weil sie sonst wie Autos bei einer Spielzeugr­ennbahn aus der Kurve flögen. Der automatisi­erte Ablauf ermöglicht, dass sich kein Paket länger als zwei Minuten in der Anlage befindet – von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Auf die schiefe Bahn geraten die Pakete erst, wenn das Förderband die richtige „Abfahrt“erreicht, dann wirft sie die Kippschale auf eine Rutsche, wo sie zum Ausrolltor mit dem Lkw zum Bestimmung­sort gleiten.

So fasziniere­nd die Anlage auch ist – die nächste, noch größere ist bereits in Planung. Im Herbst 2020 soll sie fertig sein und die Leistungsf­ähigkeit noch einmal um 60 Prozent steigern. Dafür ist das neue Paket-Drehkreuz mit 150 Millionen Pfund (172 Mill. Euro) auch teurer als der Superhub (100 Mill. Pfund).

Förderbänd­er erreichen 8,5 Kilometer/Stunde

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BILD: SN/DPD Eine moderne Paketsorti­eranlage weckt gleicherma­ßen Assoziatio­nen an eine Kathedrale, einen Flugzeugha­ngar und an verkehrsre­iche Autobahnen.

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