Bei seelischen Leiden von anderen nicht wegschauen
Psychische Erkrankungen nehmen zu, aber es herrscht noch immer viel Unsicherheit, wie man damit umgehen soll. Warum es nicht hilft, vorschnelle Lösungen anzubieten.
In Österreich ist jeder dritte Mensch von psychischen Krankheiten betroffen. Dennoch begegnen wir diesen sehr oft mit Rat- und Hilflosigkeit. Betroffene können häufig aus Angst und Scham nicht über ihre Probleme sprechen, was in der Folge zu sozialem Rückzug und Vereinsamung führen kann. Das sei aus gesundheitlicher Sicht hoch problematisch, hieß es am Donnerstag bei einer Veranstaltung von pro mente Austria in Linz.
„Wenn jemand auf der Straße umfällt, ruft man einen Notarzt. Doch wenn jemand neben uns weint, apathisch oder verzweifelt wirkt – was dann?“, sagte der Präsident von pro mente Austria, Werner Schöny, zu der verbreiteten Hilflosigkeit gegenüber psychischen Krisen. Wie aber kann und soll der Umgang mit psychisch kranken Menschen in Krisensituationen aussehen? „Ein Mindestmaß an Kompetenz sollten möglichst viele Menschen erwerben“, so Schöny. Regel Nummer eins sei „Hinschauen statt wegschauen“. Dabei sollte man aber die Probleme des anderen weder relativieren noch vorschnelle Lösungen anbieten. Hilfreicher sei es, „zunächst einmal zuzuhören oder gemeinsam zu schweigen“.
Als kritisch bezeichneten Experten die Situation, wenn sich eine seelische Krise schleichend über längere Zeit entwickle. Belastungen wie familiäre Konflikte oder finanzielle Sorgen könnten allmählich zu einer Überforderung führen und plötzlich in einer ernsthaften Krise gipfeln. Schlimmstenfalls könne das zu Selbstmordabsicht führen. Dann müsse umgehend professionelle Hilfe organisiert werden. Eine möglichst rasche ärztliche Behandlung könne solchen Menschen Leid ersparen und Leben retten.
Der Psychoanalytiker und Bestsellerautor Wolfgang Schmidbauer sagte zu dem Thema „Wie viel Wärme braucht der Mensch?“, das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter gerate angesichts psychischer Probleme an seine Grenzen. Seelisch Belastete brauchten nicht nur Unterstützung und Fürsorge, sondern Hilfe zur Selbsthilfe. „In der modernen Konsumgesellschaft bedrohen neue Gefahren unser seelisches Gleichgewicht: Auf der einen Seite Verführungen zu ungesunder Bequemlichkeit bis hin zu den verschiedenen Formen der Abhängigkeit und Sucht. Auf der anderen Seite hohe Leistungsanforderungen und viel zu wenig seelischer und gesellschaftlicher Raum für Muße“, stellte Schmidbauer fest.
Der Historiker und Bestsellerautor Philipp Blom, der im Juli die Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen 2018 halten wird, analysierte die gegenwärtigen Umbrüche und ihre Auswirkungen. Moderne Gesellschaften hätten Schwierigkeiten damit, eine gemeinschaftliche Identität anzubieten, die jede Gesellschaft brauche, um zu überleben. „Wir leben in Gesellschaften, in denen die Zukunft keine Verheißung mehr ist, sondern eine Bedrohung“, stellt Blom in seinem Buch „Was auf dem Spiel steht“fest.