Das Ende des Kriegs
73 Jahre danach – 12. April 1945 in Wien:
Vor einigen Tagen, Ende März, habe ich meinen 16. Geburtstag erlebt. Nicht gefeiert, erlebt. Über die Hitler Jugend (Volkssturm) zur Wehrmacht. MG Schütze auf einem Panzerspähwagen. Rückzug durch das Burgenland, letzte Station Wien Wagramerm Straße.
Einige Tage vor diesem Tag haben wir flüchtende italienische Kriegsgefangene geschnappt, die zu den Russen überlaufen wollten. Zirka 20 Mann.
Befehl vom „Chef“unserer Einheit: Exekution. Zusätzlicher Befehl, die „Jungen“werden dies machen, damit sie „hart“werden. Unser noch junger Leutnant, zirka 25, widerspricht und setzt sich durch. Änderung. Die Jungen müssen bei der Exekution anwesend sein und nachher die Leichen eingraben. So war es dann auch.
Donnerstag, 12. April. Letzter Einsatz. Zwei Wagen vor mir werden von der russischen Artillerie voll getroffen. Zwei Freunde sind sofort tot, dem dritten werden beide Beine abgerissen.
Wien ist eingeschlossen. Befehl. Morgen wird durchgebrochen. Ich habe zirka eineinhalb Stunden nach Hause. Mein Leutnant bringt mich aus dem Lager nach draußen, mit der Begründung, ich solle die Eltern, die nicht weit weg wohnen, vom Tod ihrer Kinder verständigen, er würde mich dann mit dem Wagen zurückbringen. Der Posten stimmt zu. Es ist halb fünf.
Die letzten Worte meines Leutnants waren: „Ich kann dir keine Papiere geben, viel Glück.“
Ich bin im Feuer der Einschläge gelaufen, hingeworfen, gelaufen und habe es geschafft. Gott sei Dank. Kein Mensch auf der Straße, keine Militärstreife. Am Floridsdorfer Spitz beim Rathaus sehe ich drei deutsche Offiziere hängen. Nur weiter. Nach 20 Minuten laufen und hinwerfen bin ich zu Hause, im Luftschutzkeller. Es ist 6 Uhr abends. Meine Eltern und alle anderen, mich eingeschlossen, weinen. Ich lebe.
Am Sonntag, 15. April, stehen die Russen vor der Tür. Darüber könnte ich auch noch einige Kapitel schreiben.
Ich schreibe dies nach 70 Jahren, um darauf hinzuweisen, wie gut es uns geht und wie froh wir darüber sein sollten. Wie sinnlos Krieg, Gewalt und Streit sind. Wir alle haben das Glück, in einer solchen Zeit zu leben. Trotz meiner furchtbaren Jugenderlebnisse habe ich ein zufriedenes, glückliches Leben gehabt. Alle Menschen zu achten, ein bisschen weniger Egoismus, dafür ein bisschen mehr Toleranz. Als Belohnung dafür gibt es ein Leben in Frieden. N.S.: Auch ohne Psychologen, die es damals sowieso nicht gab, habe ich mein Leben gemeistert, nur vergessen kann ich nicht.
Fritz Belohaubek
5023 Salzburg