Wo Christen und Muslime harmonieren
In Europa kommt es häufig zu Vorurteilen und Konflikten zwischen Christen und Muslimen. In Bosnien-Herzegowina arbeiten die Religionen zusammen. Der Islam dort gilt als Vorbild für einen europäischen Islam. Ein Lokalaugenschein.
In Bosnien-Herzegowina arbeiten die Religionen zusammen. Der Islam dort gilt als ein Vorbild für einen europäischen Islam.
SARAJEVO. Mara Ilić ächzt beim Sauerkraut-Umrühren in einem riesigen Topf. Deftiger Geruch erfüllt die große Küche. Dann schneidet sie Rindfleisch für die dicke Suppe klein. Aus der Klosterküche der Franziskaner in Sarajevo gehen jeden Tag Hunderte Portionen warmes Essen in die Stadt. Bis zu 1000 Bedürftige kommen zu den Standorten, an denen ausgeteilt wird. Die meisten, rund 95 Prozent, sind Muslime. Dass kein Schweinefleisch oder Alkohol in die Gerichte kommt, ist für Ilić daher klar.
22 Jahre nach Krieg und Genozid am Balkan sind die Nachwirkungen immer noch spürbar: Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 60 Prozent, Zehntausende Junge versuchen, in anderen europäischen Ländern Arbeit zu finden und Fuß zu fassen. Die drei Ethnien in Bosnien, die sich im Wesentlichen mit den Religionsgruppen decken – katholische Kroaten, orthodoxe Serben und muslimische Bosniaken –, haben keinen Weg gefunden, in echtem Frieden miteinander zu leben. Zu tief sind die Wunden des Krieges. Hass und Missgunst bestimmen den Alltag, vor allem auf dem Land.
Umso mehr sticht deshalb die unaufgeregte Zusammenarbeit in der sehr westlich wirkenden Hauptstadt hervor: Katholiken und Muslime pflegen den Dialog. Das ist nicht nur bei Hilfsprojekten wie den Armenausspeisungen wichtig, sondern auch auf intellektueller Ebene. Zum Reden lädt die islamisch-theologische Fakultät in Sarajevo. Sie ist die bedeutendste Einrichtung höherer islamischer Ausbildung, Forschung und Lehre – über die Landesgrenzen hinaus. Studierende lernen dort, was einen moderaten und modernen Islam ausmacht.
Warum dieser Islam als offen und europäisch gilt? „Alle Generationen in unserer Universität haben Genozid erlebt. Das bewahrt uns vor Radikalisierung“, sagt Direktorin Dževada Šuško. Sie betont, dass man sich in Bosnien ausschließlich an sich selbst orientiere und nicht an äußeren, oft finanziellen Einflüssen wie etwa aus der Türkei oder dem Iran. „Der gute Umgang mit den anderen hat uns am Leben erhalten“, erklärt Šuško. Man unterstütze die Trennung von Religion und Staat und hoffe weiter auf die Hilfe der EU, wenn es um die Stabilisierung Bosniens gehe: „Wenn Europa kein Interesse zeigt an unserer Marktwirtschaft, der hohen Arbeitslosigkeit, den schlechten Standards bei Menschenrechten, dann werden Russland und Staaten aus dem Mittleren Osten langsam mehr Einfluss gewinnen“, warnte Šuško.
Dass Bosnien-Herzegowina kein vergessenes Land ist, wollten Österreichs Bischöfe bekräftigen: Sie hielten die Frühjahrssitzung der Bischofskonferenz in Sarajevo ab. Kardinal Christoph Schönborn und seine Amtskollegen im bischöflichen Dienst trafen Religionsführer zum Gespräch. Einen herzlichen Empfang gab es etwa bei Großmufti Husein Kavazović. Dieser sagte, dass „die Gefühle zu Österreich immer besonders warm“gewesen seien, und betonte die gemeinsame Verantwortung der Muslime und der katholischen Bischöfe bezüglich eines guten Zusammenlebens. Kavazović: „Muslime und Christen müssen den Menschen Hoffnung predigen und Gutes zeigen.“
Einer, der mit den Nachwirkungen des Balkankrieges Tag für Tag arbeiten muss, ist Tomo Knežević von der Caritas in Sarajevo. „Nach dem Krieg braucht es drei Generationen, um die Seelen zu heilen“, erzählt er vor Journalisten, welche die Katholische Presseagentur kathpress eingeladen hatte, die Bischöfe zu ihrer Konferenz nach Bosnien zu begleiten. Knežević hat im Krieg 30 engere Verwandte verloren. „Bis heute sind keine Täter verurteilt“, klagt er. Diese Versäumnisse der Justiz nennt er als einen Grund, warum in der Bevölkerung immer noch Vorurteile, meist gegenüber Serben, herrschten.
Waisen, auch aus den Kriegsjahren, fanden und finden im Kloster der Dienerinnen vom Kinde Jesu Zuflucht und Pflege. Schwester Pia ist in Wien groß geworden und derzeit in Sarajevo im Noviziat. Sie berichtet, dass heute viele der 13 bei ihnen lebenden Mädchen und Buben, die zwischen vier und achtzehn Jahre alt sind, Muslime sind. Im Alltag sei das aber vollkommen egal: „Wenn wir Schwestern beten, können die Kinder schauen, was wir machen, sie müssen aber nicht“, berichtet sie. Wer welche Religion habe, sei völlig unerheblich, solange es darum gehe, zu helfen, wo Hilfe benötigt werde. Wenn Schwester Pia ihren Freundeskreis betrachtet, fällt ihr auf: Ihre besten Freundinnen sind Muslime. Sarajevo scheint nicht nur für Christen und Muslime ein guter Boden für eine Zusammenarbeit zu sein. Jakob Finci, Präsident der Jüdischen Gemeinschaft von Bosnien und Herzegowina, sagte: „Unser Land ist frei von Antisemitismus.“
Davon zeugt etwa der kleine Gartenzaun rund um die Synagoge: Während in anderen europäischen Städten jüdische Gebäude oft stark gesichert oder gar bewacht sind, braucht Finci offensichtlich keinen besonderen Schutz für sich und seine Leute. Mit einem Schmunzeln fügte er hinzu: „Die drei Ethnien im Land sind so damit beschäftigt, sich zu hassen, dass sie ganz darauf vergessen, uns Juden zu hassen.“
„Muslime und Christen müssen den Menschen Gutes zeigen.“Husein Kavazović, Großmufti