„Ich bin schwanger, nicht krank“
In zwölfeinhalb Jahren Kanzleramt hatte Angela Merkel schon jede Menge Besuch. Aber solchen noch nie.
Knapp zwei Monate noch, dann ist es mit der Einzigartigkeit von Jacinda Ardern in der internationalen Politik auch wieder vorbei. Am 15. Juni ist Geburtstermin für das erste Kind der neuseeländischen Premierministerin. Zuvor schaut die einzige schwangere Regierungschefin der Welt – soweit bekannt – heute noch bei Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel vorbei.
Die 37-Jährige wäre aber auch ohne Babybauch eine der interessanteren Besucherinnen. Die Sozialdemokratin, deren Name vor einem Jahr außerhalb von Neuseeland kaum jemand etwas sagte (und auch vielen der knapp fünf Millionen Neuseeländer nichts), hat es inzwischen zu ziemlichem Star-Appeal gebracht. Selbst die „Vogue“hatte für sie sechs Seiten Platz. International wird sie nun oft mit männlichen Kollegen wie Emmanuel Macron oder Justin Trudeau verglichen.
Oder auch mit der Frau des Kanadiers. Vom letztjährigen Asien-Pazifik-Gipfel gibt es die schöne Episode, dass US-Präsident Donald Trump die Kollegin aus Neuseeland anfangs für Sophie Trudeau hielt. Nach dem Kennenlernen zeigte er dann beim Abendessen mit dem Finger auf sie und meinte: „Diese Lady hat ihr Land in Aufruhr gebracht.“Ihre Antwort: „Als ich gewählt wurde, ist niemand zum Demonstrieren auf die Straße gegangen.“Was sie verschwieg: dass sie selbst mitmarschierte.
Ardern steht erst seit vergangenem Sommer an der Spitze der Labour Party. Sie übernahm die Partei siebeneinhalb Wochen vor der Parlamentswahl, als sie in den Umfragen schier aussichtslos zurücklag. Zur allgemeinen Überraschung gelang es ihr jedoch, die Konservativen abzulösen – was an ihrer Kampagne lag, aber auch an geschickten Verhandlungen nach der Wahl. Ardern führt nun eine Links-Koalition aus Labour, Neuseeland-Populisten und Grünen.
Nach dem ersten halben Jahr ist sie immer noch beliebt. Die Zeitungen des Pazifikstaats sprechen weiter von „Jacinda-Manie“. Ardern hat ein Programm gegen Kinderarmut und einen Plan zum Bau von 100.000 Häusern für junge Familien auf den Weg gebracht. Aus Klimaschutzgründen verkündete sie den Stopp von neuen Öl- und Gasbohrungen. Den Kampf gegen den Klimawandel hat sie auch international zu einem ihrer wichtigsten Anliegen gemacht.
Auf ihrer Europa-Reise – außer Berlin noch Paris und London – geht es zudem um ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union. Trotz der riesigen Entfernung – mehr als 18.000 Kilometer – ist Deutschland Neuseelands sechstgrößter Handelspartner.
Das ist aber nicht die Sache, die ihre Landsleute wegen der EuropaReise am meisten beschäftigt. Vielen geht es mehr um die Frage, ob sich ihre Regierungschefin zum Ende der Schwangerschaft solch eine Strapaze überhaupt noch zumuten darf. Ardern holte sich vor dem 27Stunden-Flug das Einverständnis der Ärzte. Dem besorgten „New Zealand Herald“verriet sie auch noch, dass sie sich „viel bewegen und diese schrecklichen Thrombosestrümpfe tragen“werde.
Wenn auf der Europa-Reise und danach alles gut geht, wird Ardern in der jüngeren Geschichte erst die zweite Regierungschefin sein, die im Amt ein Kind bekommt. Bislang steht damit allein Benazir Bhutto in den Büchern, die 1990 als Pakistans Premierministerin eine Tochter zur Welt brachte.
Der Plan ist, dass Ardern nach der Geburt sechs Wochen zu Hause bleibt. So lange übernimmt Vizepremier Winston Peters von der Populistenpartei New Zealand First die Geschäfte. Im August will Ardern zurück in den Job. Um das Kind soll sich dann vor allem ihr Partner Clarke Gayford kümmern, ein Journalist. Die Tatsache, dass sie ihre Karriere für die Familienplanung nicht aufgab, hat ihr viel Applaus eingebracht. Ardern bezeichnet sich – im Unterschied zur 26 Jahre älteren deutschen Kanzlerin – ohne Umschweife als Feministin. Zu ihrer künftigen Doppelaufgabe meint sie lapidar: „Ich bin keineswegs die einzige Frau, die Multitasking macht.“
Ardern ist sich aber auch im Klaren darüber, was von ihrer Zeit als Premierministerin bleiben wird. „Wahrscheinlich werden sich viele Leute nur an mich erinnern, weil ich eine Frau bin und im Amt ein Kind zur Welt gebracht habe. Damit komme ich zurecht. Ich will nur nicht, dass es die einzigen beiden Dinge sind.“
„Wir müssen ehrgeizigere Antworten auf den Klimawandel finden.“Jacinda Ardern, Regierungschefin