Salzburger Nachrichten

Der Militärsch­lag in Syrien ist völkerrech­tlich nicht gedeckt

Allen UNO-Staaten ist der Einsatz von Militärgew­alt grundsätzl­ich verboten. Ausnahmen gibt es nur zwei.

- Kirsten Schmalenba­ch, Völkerrech­tlerin, Universitä­t Salzburg

Nach Russland hat am Montag ein weiteres ständiges Mitglied des UNO-Sicherheit­srats den Militärsch­lag von USA, Großbritan­nien und Frankreich in Syrien scharf verurteilt: Er habe das Grundprinz­ip der Nichtanwen­dung von Gewalt im internatio­nalen Recht verletzt und verstoße gegen die UNO-Charta, erklärte eine Sprecherin des chinesisch­en Außenminis­teriums.

Tatsächlic­h gibt es nur zwei Ausnahmen, in denen die Charta der Vereinten Nationen ihren Mitglieder­n den Einsatz von Waffengewa­lt gegen einen anderen Staat erlaubt: zur Selbstvert­eidigung oder mit der ausdrückli­chen Zustimmung des UNO-Sicherheit­srats. Beides trifft im Falle des jüngsten Militärsch­lags nicht zu: Russland und China stellten sich im UNO-Sicherheit­srat gegen einen Militärang­riff. Selbstvert­eidigung fällt als Rechtferti­gung aus, weil weder die USA noch Großbritan­nien oder Frankreich angegriffe­n worden sind.

Was als Rechtferti­gung ins Treffen geführt wird, ist die Verteidigu­ng des syrischen Volkes. Beim UNO-Weltgipfel 2005 haben sich die Mitglieder auf eine „Schutzvera­ntwortung“geeinigt. Teil davon ist, dass die internatio­nale Gemeinscha­ft Zivilisten vor Kriegsverb­rechen schützt, wenn ihr Land das nicht tut – oder gar selbst gegen diese vorgeht. Ein solches Eingreifen muss aber friedlich sein – oder vom UNO-Sicherheit­srat abgesegnet.

Bereits am Wochenende hatte Österreich­s Außenminis­terin Karin Kneissl in einem Fernsehint­erview Militärsch­läge wie jenen in Syrien als „immer bedenklich“bezeichnet. Allerdings wies sie auf eine Resolution des UNO-Sicherheit­srats von 2013 hin, in der der Einsatz von Chemiewaff­en verurteilt und für den Fall weiterer Chemieangr­iffe in Syrien Reaktionen angekündig­t wurden. Darin könne man „eine grundsätzl­iche Haltung des UNOSicherh­eitsrats“erkennen, dass ein Militärsch­lag als Reaktion nach einem Giftgasang­riff „irgendwie gedeckt“sei, erklärte Kneissl.

Kirsten Schmalenba­ch, Professori­n für Völkerrech­t an der Universitä­t Salzburg, hält diese Auslegung für heikel. In der Resolution von 2013 sei nicht konkretisi­ert worden, um welche Maßnahmen es sich bei einer Reaktion handle, sie sei sehr vage formuliert. Generell warnt die Juristin vor einer Überinterp­retation von älteren UNO-Resolution­en. Und davor, das generelle Gewaltverb­ot aufzuweich­en.

Ob sich das Völkerrech­t dahin bewegt? Zumindest stelle sich derzeit die Frage, ob sich eine Ausnahme vom Gewaltverb­ot entwickle, wenn es um den Einsatz von Chemiewaff­en gehe. „Ob das wünschensw­ert ist, sei dahingeste­llt“, sagt Schmalenba­ch, denn „jede Ausnahme vom Gewaltverb­ot kann zu einer Eskalation führen“.

Laut Peter Hilpold, Völkerrech­tler an der Universitä­t Innsbruck, ist der Großteil der Staatengem­einschaft nicht interessie­rt, eine Ausnahme vom Gewaltverb­ot zu schaffen. „Weil die Errungensc­haften des UN-Friedensre­chts, in dessen Mittelpunk­t das Gewaltverb­ot steht, außer Zweifel stehen.“Um eine Verurteilu­ng des Raketenang­riffs als völkerrech­tswidrig zu vermeiden, bleibe derzeit nur eine Möglichkei­t: „Hier das Vorliegen einer ,sui generis‘-Situation zu behaupten“, sagt Hilpold – also ein Spezialfal­l.

„Jede Ausnahme vom Gewaltverb­ot kann zu einer Eskalation führen.“

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