Salzburger Nachrichten

Wir treten brutal, bis einer bricht

Ein Feld von Rennradler­n wird an die Schmerzgre­nze geführt. Joachim Zelter macht daraus eine Parabel unserer Gesellscha­ft.

- Joachim Zelter, „Im Feld – Roman einer Obsession“, Roman, Klöpfer & Meyer, Tübingen 2018.

SALZBURG. Frank Staiger ist übersiedel­t. Mit Freundin und Rennrad zog er nach Freiburg. An Mariä Himmelfahr­t machte er sich auf zu einem Radtreff. Durch eine Zeitungsan­zeige eines Radvereins wurde er aufmerksam. „Auch Nichtmitgl­ieder willkommen“, stand da. Gelegenhei­t also, in der neuen Fremde Brüder und Schwestern im Geist des Pedalritte­rtums zu finden. So harmlos beginnt Joachim Zelter seinen Roman „Im Feld“.

Zunächst geht es um Feinheiten des Radfahrens. Um Trikots und das Verhalten in einer Gruppe. Um Tempo. Höhenmeter. Übersetzun­g. Um ein Peloton, das einem Ziel zustrebt. Um Windschatt­en. Es geht um die wenigen Worte, die bei einer solchen Ausfahrt schon als Kennenlern­en gelten. Es geht ums Abchecken der Beinmuskul­atur der anderen, weil man nur daran deren Stärke abschätzen kann. „Wiederaufr­ücken. Wind. Zurückfall­en lassen.“Darum geht es. Sonst müsste man absteigen. Aber es wird nicht abgestiege­n. Auch nicht, als Landauer kommt und die Führung übernimmt. Joachim Zelter kennt sich aus im Feld. Er weiß, wie eine Radgruppe funktionie­rt. Er kennt die Spielchen. Er weiß, wann der Schmerz kommt. Und er weiß, wie man über den Schmerz hinausfähr­t, wie man alle Qual wegtritt. Und Zelter hat einen wachen Blick auf die Gesellscha­ft, auf die Anonymisie­rung, auf die Macht der Masse, auf diese eigenartig­e Lust nach einem starken Führer.

Zunächst ist Landauer, der die Gruppe später in eine Irrsinnsan­strengung führt, gar nicht da. Ein Mythos ist er. Es kursieren Gerüchte über seine Ausdauer, seinen unbeugsame­n Willen, seine Lust, jeden Berg mitzunehme­n. Sogar eine steile Rampe, der brutalste Aufstieg weit und breit, trägt seinen Namen. Wo andere absteigen, gibt er Gas. Ein Geist ist Landauer und als er – unbemerkt angekommen – die Ausfahrt anführt, beginnt eine Höllenfahr­t hinter einem, dem plötzlich alle blindlings vertrauen, egal wie hart und schwer, ja brutal, es dahingeht.

Das Sausen des Feldes und das Surren der Ketten lassen sich da schnell als Getöse der Welt lesen. Autor Zelter verlässt mit seinem Protagonis­ten Frank Staiger als IchErzähle­r flott das reine Radfahrfel­d.

Sein Roman entwickelt sich zu einer Parabel über eine Gegenwart zwischen Leistungsd­ruck und blinder Obrigkeits­hörigkeit. Landauer sei „ein Mann für Menschen, die ihr sonstiges Leben hassen“. So folgt ihm das Feld bedingungs­los, weil es ja scheinbar nichts zu verlieren gibt. Aber zu gewinnen gibt es bei solchen Ausfahrten außer Selbsterke­nntnis auch nichts. Aber oft kommt die erst, wenn die Muskeln brennen und der Kopf leergefahr­en ist. Im Lauf der vielen Kilometer wird klar, dass Zelter kein Radbuch geschriebe­n hat, sondern eines, das mit der akribische­n Kenntnis über das Radfahren einen Zustand der Welt erklärt, in dem in kollektive­r Ohnmacht gern ein Führer verehrt wird. Dass Zelter als Autor für die Bühne und auch für Hörspiele perfekt mit der Dramatisie­rung von Texten umgehen kann, dass er die Dynamik einer Radgruppe aus eigener Leidenscha­ft genau kennt und sie in Worte übersetzen kann, macht seine Prosa enorm lebhaft, ja so spannend, dass man jeden Kilometer mit Vergnügen schluckt.

Am Ende sind es 345 Kilometer und 4367 Höhenmeter. Und es war „ein Himmelfahr­tskommando“. Und, so viel sei verraten, Landauer ist verschwund­en. Buch:

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Schwere Tritte, damit man mit aller Macht mithalten kann – egal ob im Fahrerfeld oder der Gesellscha­ft. BILD: SN/PHOTOSCHMI­DT - STOCK.ADOBE.COM

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