Zwei Wahrzeichen werden 60
Ein Zeitungsfoto des Atomiums veränderte 1958 das Leben eines oststeirischen Landwirts, der eine Weltmaschine zu bauen begann. Beide Jubiläen werden heuer würdig begangen.
GRAZ. Reisefreudig war er nicht, der Franz Gsellmann aus der oststeirischen Gemeinde Kaag bei Feldbach. Genauer gesagt: Der Landwirt setzte sich nur ein Mal in seinem ganzen Leben in den Zug, fuhr nach Brüssel, um anno 1958 das zur Weltausstellung neu eröffnete Atomium zu besichtigen. Am selben Tag ging es noch retour und dann begann er, in einem Zimmer seines Anwesens einen Lebenstraum zu verwirklichen. Eine Maschine zu bauen, die nichts produziert außer Staunen und Verblüffung bei jenen Menschen, die sie zu Gesicht bekommen. Die Weltmaschine.
Im Kern dieses steirischen Wunderwerks befindet sich eine Minikopie des Atomiums. „Mein Großvater hatte den weltberühmten Eisenkristall auf einem Zeitungsfoto gesehen. Er war sofort enorm fasziniert, das Atomium hat in ihm die Kreativität geweckt“, berichtet Franz Gsellmann jun., der Enkelsohn, der in den Betrieb und die Wartung „der Maschin’“eingeweiht wurde. Heuer begehen beide Sehenswürdigkeiten ihr Jubiläum: Der 165 Milliarden Mal vergrößerte Eisenkristall mit neun Atomen in Belgien feiert heute, Dienstag, sein 60jähriges Bestehen. Die aus rund 2000 Einzelteilen bestehende Weltmaschine wird im Sommer mit Veranstaltungen gewürdigt. So wird es am 30. Juni eine „Lange Nacht der Weltmaschine“geben. Einen Tag später findet ein Festakt statt, dann wird sich die raumgreifende Skulptur, die derzeit saniert wird, in neuem Glanz präsentieren. Für den Betrieb der Weltmaschine ist heute Gsellmanns Lebensgefährtin Sabine Gruber verantwortlich, um die laufenden Wartungsarbeiten kümmern sich der Betriebselektriker Thomas Blas und der Elektriker Hannes Hirt. Ein Problem seien die Ersatzteile betont Gruber: „Vor allem bei den Glühbirnen wird es allmählich eng, wir sind ständig auf der Suche.“Immerhin sind rund 200 Glühbirnen in Gsellmanns Weltmaschine integriert.
Vom Erbauer, der einst Elektriker werden wollte, ist folgendes Zitat überliefert: „Wie ich das Atomium gesehen habe, habe ich im Traum meine fertige Maschine gesehen.“Insgesamt 23 Jahre lang hat er dann an der Realisierung seiner von vielen Zeitgenossen belächelten Idee gearbeitet, entstanden ist ein einzigartiges, vier Meter langes und drei Meter hohes Volkskunstwerk, das auch professionelle Künstler wie etwa den Franzosen Jean Tinguely inspiriert hat.
Das große Vorbild des steirischen Landwirts, das Atomium, wurde vom Ingenieur André Waterkeyn entworfen und von den Architekten André und Jean Polak errichtet. Der von wissenschaftlichen Entdeckungen und der friedlichen Nutzung der Atomenergie überzeugte Waterkeyn wollte mit dem 102 Meter hohen Bauwerk ein neues Wahrzeichen für Brüssel schaffen. Dies ist ihm gelungen, die Begeisterung über die Kernenergie hat sich über die Jahrzehnte relativiert.
Die 2500 Tonnen schwere Konstruktion sah vor einigen Jahren heruntergekommen aus: Löcher in den Kugeln, Roststellen, abblätternde Farbe. Schließlich wurde das Atomium um rund 27 Millionen Euro generalüberholt und glänzt nun wieder in rostfreiem Edelstahl. Fünf der neun Kugeln mit einem Durchmesser von je 18 Metern sind für Besucher zugänglich. 2016 war die steirische Weltmaschine mit zwei Ausstellungen in Brüssel zu Gast: eine davon direkt im Inneren des Atomiums.
„Im Traum sah ich die fertige Maschine.“Franz Gsellmann, Weltmaschinen-Erbauer