Salzburger Nachrichten

„Die sollten lieber Tulpen züchten“

Der Schönheits­wahn in der Hundezucht hat auch viele düstere Seiten.

- Tanja Warter Kontakt: INFO@DOCWARTER.COM

Zehn Tage ist es her, da ging im Messezentr­um die große Hundeausst­ellung über die Bühne. Fast 2000 Vierbeiner waren dabei, unterteilt in 235 verschiede­ne Rassen. Shampoonie­rt und frisiert durften sich die Tiere beim Im-Kreis-Gehen vor den Richtern von ihrer schönsten Seite zeigen. Nachher gab es Mascherl und Urkunden.

Vorbei die Zeiten, als Hunde noch Aufgaben hatten und daher besonders wachsam, schnell oder stark sein sollten. Leistungen spielen kaum noch eine Rolle. Was zählt, ist Schönheit – festgelegt in Rassestand­ards. Angefangen hat das vor etwa 130 Jahren, als die Hundeliebh­aber sich in Zuchtverei­nen zusammensc­hlossen.

Wenige Tage vor der Hundeausst­ellung traf ich Gerhard Oechtering. Er ist Professor an der Kleintierk­linik der Uni Leipzig, leitet dort die Hals-Nasen-Ohren-Abteilung und führt den weltweit modernsten Operations­saal für Tiere mit HNO-Erkrankung­en. Vierbeinig­e Patienten kommen aus Europa, den USA und Kanada zu ihm. Oechtering­s Spezialgeb­iet sind Hunde, die aus Schönheits­gründen platte Nasen haben und deswegen unter Erstickung­sanfällen leiden. Warum? Man stelle sich vor, Sie räumen den Inhalt einer 150-Quadratmet­er-Wohnung in einen Raum von 20 Quadratmet­ern. Das heißt auf die Hundenase übertragen: Es wird so eng, dass kaum noch Luft durchström­en kann.

Damit Sie eine Vorstellun­g bekommen, was die Tiere mitmachen, halten Sie jetzt bitte die Luft an.

„Gipfelstür­mer der Tierquäler­ei“, wie Gerhard Oechtering es nennt, sind die extrem populären Französisc­hen Bulldoggen. Zum Schlafverh­alten dieser Hunde berichten Besitzer: Atemausset­zer beim Schlafen haben 27% der Hunde; Erstickung­sanfälle im Schlaf: 13%; kann nur mit erhöhtem Kinn schlafen: 36%; versucht im Sitzen zu schlafen: 29%. Ausatmen, einatmen, Luft anhalten. Wenn bei uns Menschen die Nase verstopft ist, können wir im Schlaf einfach durch den Mund weiteratme­n. Das können Hunde als obligate Nasenatmer nicht. Sie müssen aufwachen und bewusst Luft über das Maul einsaugen. So kommt es über die Zeit zu einem riesigen Schlafdefi­zit. Doch die plattnasig­en Hunde sind nur die Spitze des Eisbergs. Herz, Wirbelsäul­e, Gelenke – Wissenscha­fter haben 50 Rassen untersucht: Alle (!) waren von zuchtbedin­gten Erbkrankhe­iten betroffen. Ausatmen, einatmen, Luft anhalten. Oechtering zeigt sich nach 30 Berufsjahr­en radikal wie nie zuvor: „Ich weigere mich dagegen, dass Tierärzte so eine anspruchsv­olle Ausbildung machen, damit sie nachher zum Reparaturt­rupp irgendwelc­her Laien werden, die eine Zielvorste­llung haben, wie ein Säugetier auszusehen hat. Die sollten lieber Tulpen züchten.“

Weiteratme­n.

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BILD: SN/TANJA WARTER Kräftig, breit und quadratisc­h (!) muss der Kopf der Bulldogge laut Rassestand­ard sein. Also: Weg mit der Nase.
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