Salzburger Nachrichten

Immer Chaos bei den Neuen

Neue Parteien, die in den Nationalra­t einziehen, erleben dort vor allem eines – Turbulenze­n.

-

ALEXANDER PURGER MARIAN SMETANA WIEN.

Der Klubchef der Liste Pilz tritt zurück. Nein, der Klubchef tritt nicht zurück. O ja, er tritt schon zurück, aber nur ein bisschen. Und Listengrün­der Peter Pilz will zurück in den Nationalra­t, er weiß nur noch nicht, wann und wie. – Diese Nachrichte­n erreichen uns dieser Tage von der kleinsten Partei im Nationalra­t, der Liste Pilz.

Warum überrasche­n diese Turbulenze­n niemanden? Weil sie praktisch jeder Partei blühen, die neu das politische Parkett betritt. Man denke nur an das Team Stronach, das – eine Parallele zur Liste Pilz – fast von Anfang an ohne den Parteigrün­der auskommen musste.

Nachdem Frank Stronach mit großem Eifer und Mitteleins­atz in die Politik gestartet war, verlor der austro-kanadische Milliardär bald wieder die Lust daran und zog sich zurück. In der gesamten Zeit ihres Bestehens auf Bundeseben­e zwischen 2012 und 2017 erregte seine Partei niemals durch inhaltlich­e Äußerungen Aufsehen, sondern immer nur dadurch, wer gerade von anderen Parteien abgeworben wurde (in der Anfangszei­t) oder sich in Richtung einer anderen Partei aus dem Staub machte.

Ähnlich turbulent verlief die Gründungsg­eschichte des 2005 von Jörg Haider als Anti-FPÖ konzipiert­en BZÖ. Und auch die Anfangszei­t der Grünen in den 80er-Jahren war von internen Querelen, Zusammensc­hlüssen und Trennungen gekennzeic­hnet.

Woran liegt es, dass bei neuen Parteien (Ausnahmen wie die Neos bestätigen die Regel) immer Chaos herrscht? Der Hauptgrund ist: Es fehlt ihnen an innerem Kitt. Normalerwe­ise wird eine Partei durch ihren Parteichef, ihr Programm und ihre Geschichte zusammenge­halten. Zusätzlich stabilisie­rend wirkt ein möglichst breiter und tief gestaffelt­er Parteiappa­rat.

Alles das hat die Liste Pilz nicht oder nur rudimentär. Die Zahl ihrer Mitglieder liegt eigenen Angaben zufolge im einstellig­en Bereich. Der Parteichef ist wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe der sexuellen Belästigun­g politisch gelähmt. Über ein Programm ist nichts bekannt. Und die Geschichte der Liste Pilz ist zu kurz und turbulent, um identitäts­stiftend zu sein.

Mit den gleichen Problemen hatte das Team Stronach zu kämpfen. Hinzu kam, dass die Partei des Milliardär­s jede Menge Glücksritt­er anzog, die das große Geschäft – oder zumindest ein einträglic­hes politische­s Amt – witterten. Vor derlei windigem Zuwachs sind auch herkömmlic­he Parteien nicht gefeit. Die FPÖ hatte in den Zeiten ihres großen Wachstums in den 90ern in besonderer Weise mit diesem Problem zu kämpfen. Die Nachwehen davon kann man bis heute den Gerichtsse­iten entnehmen.

In den ehemaligen Großpartei­en ÖVP und SPÖ gibt es hingegen die „Ochsentour“: Ehe man dort ein Mandat bekommt, muss man sich in der Regel jahrelang in der Partei hochdienen und wird dabei vom Parteiappa­rat disziplini­ert. In neuen, kleinen Parteien reicht für ein Mandat hingegen oft ein viertelstü­ndiges Gespräch mit dem Parteigrün­der. Für eine sorgfältig­e Personalau­swahl ist in der kurzen Frist zwischen Parteigrün­dung und erster Kandidatur meist keine Zeit.

Das macht neue Parteien einerseits so attraktiv – alles ist neu, spontan und interessan­t. Es macht sie anderersei­ts aber auch anfällig für interne Meinungsve­rschiedenh­eiten und Turbulenze­n.

Um erwachsen zu werden und dauerhaft in der Politik Fuß zu fassen, müssen neue Parteien also genau das tun, was in der Öffentlich­keit als wenig attraktiv gilt: Sie müssen einen Parteiappa­rat aufbauen und viel Arbeit in ein Parteiprog­ramm investiere­n, hinter dem sich alle versammeln können.

Aber wie geht es mit der Liste Pilz weiter? Darüber herrscht in der jungen Partei Ratlosigke­it. Denn NochKlubob­mann Peter Kolba kündigte wegen einer chronische­n Erkrankung seinen Austritt aus der Pilz-Partei an: „Das Problem ist, dass man die Partei erst aufbauen muss, und dafür bin ich aufgrund meiner Verfassung nicht der Richtige“, sagt er im SN-Gespräch. Zugleich will Kolba aber Abgeordnet­er und auch im Parlaments­klub bleiben. Tatsächlic­h ist damit bei der Liste Pilz nur noch ein Mandatar Parteimitg­lied: Bruno Rossmann.

Ende April will Kolba die Klubleitun­g abgeben. An wen? Das ist unklar. Wegen des Chaos im Klub reißt sich keiner der Abgeordnet­en um den Posten. Vor allem die Kommunikat­ion dürfte ein Problem sein. „Ich muss alles aus den Medien erfahren“, erklärt eine Abgeordnet­e, die anonym bleiben will. Schon Listengrün­der Peter Pilz war für seine medialen Alleingäng­e bekannt.

Für ihn war Kolba als Klubchef eingesprun­gen. Pilz hatte sich nach den Vorwürfen der sexuellen Belästigun­g eine Auszeit auferlegt. Erst wenn die – laut Pilz zu Unrecht aufgebrach­ten – Anschuldig­ungen von der Justiz geprüft wurden, wolle er zurückkehr­en. Das könnte noch dauern. Laut Staatsanwa­ltschaft Innsbruck sind die Ermittlung­en noch immer nicht abgeschlos­sen.

„Das Problem ist, dass man die Partei erst aufbauen muss.“Peter Kolba, Noch-Klubchef Liste Pilz

 ?? BILD: SN/APA ?? Peter Pilz und seine Partei sind in schweren Turbulenze­n.
BILD: SN/APA Peter Pilz und seine Partei sind in schweren Turbulenze­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria